NILS FRAHM – All Melody

Nils Frahm ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Musiker. Da sind sich zwischen Wien und Los Angeles alle einig. Seit Jahren produziert der Wahl-Berliner anspruchsvolle Werke zwischen Klassik und Elektronik. Diese Mischung gelingt ihm solo auf der Bühne in einer so beeindruckenden Form, dass sogar Videomitschnitte unheimlich mitreißend sind. Mit Klavieren, Synthesizer und Drum-Computer ausgestattet, erschafft er Klangwelten, die gleichwohl minimalistisch wie vielschichtig sind. Der Rhythmus ist dabei tragendes Element. Er ist das Verbindungsstück zwischen den Genres: klassische Tasteninstrumente erzeugen (von Synths unterstützt) Rhythmen, die vorwiegend aus elektronsicher Musik bekannt sind.

Mit All Melody geht Frahm einen Schritt weiter. Die Instrumentierung wird vielseitiger. Plötzlich sind überall Flöten und Streicher zu finden. Die Percussion hören sich natürlicher an. Manche Lieder werden richtig laut und unübersichtlich (Kaleidoscope). Insgesamt wirkt das im Berliner Funkhaus entstandene Werk wie ein Statement für Kontraste, für daraus entstehende Vielschichtigkeit, für Entwicklung. Dramaturgisch wird dieser Anspruch noch einmal unterstrichen. My Friend The Forest ist ein Solopianostück von zerbrechlicher Schönheit, wie man es schon öfter von Frahm hören konnte. Das direkt darauffolgende Human Range sorgt für Kontrast. Es entwickelt sich über seine sieben Minuten Spielzeit langsam zu einem Trauermarsch von drängender Intensität. Ein Chor wird unisono quasi wie ein Streichquartett eingesetzt. Schiefe Töne von Violine, Flöte und Trompete unterstreichen die unheimliche Stimmung. Die beiden Herzstücke des Albums, das Titelstück All Melody und #2, wirken mit ihrem repetitiven, stetig ausweitenden Verlauf cineastisch. Einfach über eine nachdenkliche Nachtszene gelegt und Gänsehaut ist garantiert. Generell merkt man auf All Melody, dass Frahm auch ein exzellenter Produzent von Filmmusik ist.

Frahm schafft es auf diesen zwölf Liedern scheinbare Gegensätze in ein blühendes Gesamtwerk zu übersetzen. 74 Minuten, die nicht erschlagen, sondern eher anregen, immer wieder aufs Neue nach bis dahin unentdeckten Nuancen zu suchen.

Nils Frahm – All Melody
VÖ: 26. Januar 2018, Erased Tapes
www.nilsfrahm.com
www.facebook.com/nilsfrahm

Jonathan Hirschhäuser

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