FIELD MUSIC – Making A New World

I imagine you
Down the basement floor of the museum
In the records room
Away from view
A quiet life for family

(Nikon Pt. 1 – Field Music)

Ein bisschen ungewöhnlich klingt es schon, wenn eine Band wie die britischen Field Music, 2012 für den Mercury Prize nominiert, ihr neuestes Werk Making A New World mit den Worten ankündigt, es sei durchaus ein Konzeptalbum, aber nein, bloß nicht diese Art von Konzeptalbum. Tatsächlich ist der Nachfolger ihres 2018 erschienenen Open Here einer vergleichsweise unüblichen Zusammenarbeit entsprungen: in Kooperation mit den Imperial War Museen in Manchester und London spielten Field Music Anfang 2019 mehrere eigens entwickelte Live-Performances, die die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs thematisierten. Im Fokus standen dabei weder das Kriegsgeschehen noch die Erinnerung daran. Stattdessen widmen sich die Songs, die das Kern-Duo im Laufe des Jahres zu einem eigenständigen Album entwickelt hat, heute alltäglichen Prozessen, deren gemeinsamer Ursprung im Krieg liegt: chirurgische Geschlechtsumwandlungen, Flugsicherung, Ultraschall. Böswillig gesprochen also ein Themenfeld, das außerhalb von Museen bisher schlimmstenfalls prokrastinierenden GeschichtsstudentInnen im zehnten Semester vorbehalten war. Man mag sich kaum vorstellen, welche gruseligen Früchte ein so nach öffentlichem Bildungsauftrag müffelndes Projekt hierzulande tragen würde. Kann das denn überhaupt als Pop-Album funktionieren?

Es funktioniert sogar erstaunlich gut: Die Single Only In A Man’s World ist aus der ohnehin verschwindend geringen Reihe der Popsongs über Menstruation vermutlich der tanzbarste und zugleich prägnanteste Song, der je über die Entwicklung von Monatsbinden – vorangetrieben durch die Verwendung von Verbandsmaterial – geschrieben wurde. Mit Leichtigkeit schaffen es Field Music, über ungewohnte inhaltliche Herausforderungen hinwegzutäuschen, die Sänger David Brewis im Entstehungsprozess beschäftigten: “At every stage of making this song, I had to ask myself, am I allowed to do this? Is it okay to do this? And I cringed in the next room when I first showed it to my wife.” Die absurd hohe Besteuerung von Menstruationshygieneartikeln wurde übrigens (zumindest in Deutschland) erst Ende vergangenen Jahres aufgehoben. “Things would be different if the boys bled / If the boys bled too.”

A propos Geld: Nahtlos blenden Beat und Funk-Gitarren über zu Money Is A Memory, einem stapfenden, nicht minder catchy Groove, in dem David Brewis in die Rolle des Beamten schlüpft, der 2010 irgendwo in den unerbittlichen Mühlen der Bürokratie seine Unterschrift unter die letzte deutsche Reparationsrate an das Vereinigte Königreich setzen durfte. In den Lyrics leben Field Music ein Faible für die kleinen, nur selten erzählten Geschichten aus, die uns noch heute betreffen und doch stets auf den gleichen, bitteren Ursprung verweisen. Musikalisch erinnern sie dabei an andere Bowie-/Talking Heads-Fans wie Arcade Fire auf ihrem Reflektor-Album, teilen jedoch nicht deren episches Sendungsbewusstsein. Making A New World ist vom Heldenepos ebenso weit entfernt wie von Schreckenserzählungen aus dem Schützengraben, die visuell eindrücklich regelmäßig Kinoleinwände und Streamingbibliotheken bespielen. Im Interview mit Under The Radar erklärte Brewis dazu: „I don’t feel like we are the people to authentically write the story of a soldier”

Und so belässt es die Band bei rund zwei Dritteln der 19 Songs bei bloßen Vignetten, teilweise nur instrumental, deren Geschichten sich erst über ihre Titel erschließen. Zwischen dadaistischen Ausflügen wie A Shot To The Arm, die an Brian Enos frühe Solowerke erinnern, nehmen dann Klavierpassagen (Silence) und einsame Synthesizer (A Common Language Pt. 1) das Tempo heraus. Gerade darin liegt die große Stärke des Albums: anstatt sich in den schnörkellosen Rhythmen zu erschöpfen, entfaltet es sich wie aus einem Guss. Making A New World ist ein ausgesprochen rundes Album mit einem Songwriting, das die ewig gleichen Themen der Pop-Welt mit Leichtigkeit statt angestrengter Verkopftheit durchbricht. Mit der Bezeichnung Konzeptalbum haben sich Field Music hier weniger ein Etikett als eine Auszeichnung erspielt.

Field Music – Making A New World
VÖ 10. Januar 2020, Memphis Industries
www.field-music.co.uk
www.facebook.com/fieldmusic

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