OPHELIA – Filmkritik

Ophelia Szenenbild © Koch Films

Ophelia - Blu-Ray Cover
Ophelia Szenenbild © Koch Films

„The girl who knows how to read.“

(Gertrude – Naomi Watts)

Im späten 15. Jahrhundert am Hofe der dänischen Königsfamilie möchte die junge Halbwaise Ophelia (Mia Quiney) nichts sehnlicher als ihre Wissbegierde stillen und wie ihr Bruder Laertes (Tom Felton) am liebsten ihre Zeit in der Bibliothek verbringen. Als Mädchen ist ihr dies jedoch nicht gestattet und dennoch lässt sie sich nicht davon abbringen so gut es geht ihr Wissen zu akkumulieren. Da sie so anders ist als die anderen Mädchen ihres Alters und sich anstatt für ihr Äußeres und die höfischen Gepflogenheiten für Bücher und Spaziergänge in der freien Natur interessiert, weckt sie das Interesse der Königin Gertrude (Naomi Watts), die sich ihrer als Mutterersatz annimmt. Ophelia wird zur favorisierten Hofdame und Vertrauten der Königin und wächst zu einer willensstarken und hübschen jungen Dame (Daisy Ridley) heran, die durch ihre Andersartigkeit und ihren Stolz auch die Aufmerksamkeit und wachsende Zuneigung des jungen Prinzen Hamlet (George MacKay) gewinnt. Die aufkeimende Liebe der beiden steht jedoch unter keinem guten Stern, denn etwas ist faul im Staate Dänemarks…   

Die Eröffnungsszene des Filmes Ophelia beginnt bezeichnenderweise mit dem tragischen Ende der Figur Ophelias wie es in William Shakespeares Tragödie Hamlet beschrieben wird. Die Szene von Ophelias Dahinscheiden gilt als eine der dichterisch schönsten Todesszenen, die je verfasst wurden sind und diente über Jahre hinweg als Inspiration für zahlreiche Künstler jeglicher Couleur. Ein Vergleich zu dem wohl bekanntesten Werk von John Everett Millais, der diese Szene äußerst detailliert und naturgetreu einfängt, ist unumgänglich. So realistisch wie Millais die Landschaft und die Vergänglichkeit von Schönheit in seinem Gemälde darstellt, so wird dies auch im Set- Design des Filmes umgesetzt. Jedes Szenenbild wirkt wie ein Gemälde für sich. Sei es der prunkvolle Thronsaal, der für jegliche Festivität mit noch so unterschiedlichsten Kleinigkeiten ausgeschmückt wird, das mit authentisch wirkenden Wandteppichen ausgestattete Schlafgemach der Königin, die königlichen Gärten, in denen weiße Pfauen einfach umher tollen oder die kleine Kapelle, die von einem minutiös errichteten Altar aus Knochen und Schädeln eingenommen wird. Alles lässt den Anschein erwecken, man befinde sich tatsächlich zu mittelalterlichen Zeiten. Die Darstellung ist historisch gesehen nicht wirklichkeitsgetreu gehalten, dafür ist alles viel zu rein und tadellos. Doch ist dies augenscheinlich nicht gewollt, denn das Gefühl, dass die einigen bekannten Gemälde zu und über das romantisierte Leben an einem mittelalterlichen Königshof nun zu bewegten Bildern um modelliert worden sind, ist allemal nicht zu verleugnen. Wir sehen also die Welt, wie man sie sich damals schon gewünscht hätte, nicht wie sie tatsächlich war.

Handwerklich gesehen ist Ophelia ein wunderschöner Film, dessen Production Design bis ins allerkleinste Detail liebevoll gestaltet ist. Und wenn man sich bloß auf die schönen Bilder und die musikalische Untermalung einlässt, kann man in ein kurzweiliges Fantasy- Märchen eintauchen und Teil einer tragischen Liebesgeschichte werden. Doch hat es sich Ophelia zur Aufgabe gemacht, die „ihre Geschichte” zu erzählen. Und hier kommt es zur Diskrepanz zu den schönen Bildern, die der Film darbietet. Da es sich um eine Neuinterpretation der Tragödie Hamlet mit Fokus auf den Werdegang der Figur Ophelias handelt, so hat diese bloß an einigen signifikanten Eckpunkten und den Namen der Figuren Überschneidungen zu dem berühmten Original. Zudem werden mehrere unterschiedliche Komponente aus anderen Shakespeare Stücken aufgegriffen und in die Geschichte eingearbeitet, sodass ein kleines Medley aus den Best- of´s aus Shakespeares Liebesdramen entsteht. Die Dialoge greifen einige Originalzitate aus dem Stück von Shakespeare auf, werden jedoch paraphrasiert. Da wo der Film in der Bildsprache viele subtile Nuancen bietet, fehlt dieser Aspekt bei den sehr direkten Wortwechseln und fällt im Kontrast umso stärker auf. Auch wenn die Dialoge modern und fassbar sein sollen, so wirken sie in der Gesamtkomposition eher ein wenig plump. Dies liegt jedoch nicht an der Leistung der Schauspieler, die, allen voran Naomi Watts als flatterhafte doch hingebungsvolle Königin Gertrude und Daisy Ridley als leidenschaftliche und unverfälschte Ophelia, ein glaubwürdiges und emotionales Spiel darbieten. Gerade im gemeinsamen Spiel erreichen die beiden eine kraftvolle und gehaltvolle Synergie, die die Geschichte vorantreibt.

Ophelia möchte aus einer in der Literaturgeschichte bekannten zarten und von Männern verleiteten jungen Frau eine starke Frauenfigur erschaffen, die sich jeglichen Konventionen widersetzt und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Bedauerlicherweise wird die starke Prämisse, derer sich der Film verschreibt weder konsequent noch eloquent umgesetzt. Dafür wirken einige Handlungsstränge in ihrem Verlauf schlichtweg zu aufgesetzt und nicht zu Ende gedacht. Der Zwiespalt, in dem sich Ophelia befindet, in wie weit und ob sie nun zwischen ihrer Selbstbestimmung und der wahren Liebe wählen muss, wird zwar schön bebildert, jedoch nicht eingehend durchdacht. Um die in den Ansätzen interessante Geschichte weitaus schlüssiger und aufschlussreicher erzählen zu können, hätte es womöglich einer anderen Figur anstelle Ophelias bedurft. So spielt Daisy Ridley, nach ihrer Darbietung in der neuesten Star Wars- Trilogie, abermals eine Rebellin in einem aussichtslosen Kampf gegen die Belanglosigkeit ihrer Geschichte. 

Für Liebhaber von Shakespeare Verfilmungen ist Ophelia bedingt zu empfehlen, für die, die einem bildschönen jedoch tragischen Märchen nicht abgeneigt sind, ist Ophelia für einen gemütlichen Sonntagabend ans Herz zu legen. So wie einst Natsume Sôseki über Millais´ Ophelia schrieb: es handelt sich um eine beträchtliche Schönheit in ihrer Vergänglichkeit.           

Ophelia (2018)
Regie: Claire McCarthy
Cast: Daisy Ridley, Naomi Watts, George MacKay, Clive Owen
Heimkino-Release: 23.04.2020

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Helena Barth

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