WEGE DES LEBENS – Filmkritik


Foto-© Universal Pictures

However far away you go, you are always you.

(Molly – Wege des Lebens)

Leo (Javier Bardem) liegt im Bett, in seinem heruntergekommenen New Yorker Apartment. Physisch geht es ihm scheinbar gut, aber verständigen kann er sich kaum. Für den heutigen Tag hat seine Tochter Molly (Elle Fanning) mehrere Arzttermine angesetzt, zu denen sie ihn, obgleich sie eigentlich dringend arbeiten müsste, begleiten wird. Gleichzeitig ist Leo jedoch auch in seiner alten Wohnung irgendwo in Mexiko und in einer Bar in Griechenland. Dort streitet er mit seiner damaligen Ehefrau und sinniert über potentielle Enden für einen Roman, an dem er schreibt. Welche dieser Welten Erinnerung, Fantasie oder Realität sind, weiß er nicht. Für Molly hingegen gibt es nur eine Realität und in dieser versucht sie ihren Vater zu halten und ihren eigenen Weg zu finden.

Was genau das Leiden von Leo ist, wird in Wege des Lebens nie definiert. Wie er hingegen besonders seine Mitmenschen, mit Fokus auf seiner Tochter, leiden, wird dem Zuschauer in nur 85 Minuten sehr nachvollziehbar nähergebracht. Destilliert in nur einem Tag, gewährt Regisseurin Sally Potter Einblicke in die Höhen und Tiefen der Pflege eines geliebten aber mittlerweile nahezu hilflosen Menschen. Mit viel Herzlichkeit und Hoffnungsschimmer in Momenten, in denen Leo plötzlich nahezu klar ist, hauptsächlich aber Verzweiflung und Schuldgefühle ob der eigenen Hilflosigkeit und dem immer wieder aufkommenden Selbstzweifel, ob man nicht doch mehr hätte tun können oder müssen, vermag Potter auch die Welt des Betroffenen zu skizzieren. Was man als Zuschauer vermisst, ist eine verlässliche Einführung in die Charaktere und ihr bisheriges Schicksal. Dies würde das nötige emotionale Investment wesentlich erleichtern. Es würde aber auch die gewollte Desorientierung zerstören. Zum Glück schaffen Bardem und Fanning mit einer fantastischen Performance auch nahezu ohne Exposition mitzureißen. Während Fanning als empathisch und verletzliche Tochter zu ihren gewohnten Stärken spielt, trifft einen bei Badem gerade die Fallhöhe, den sonst inhaltlich und hier zumindest optisch eher kernig souveränen Typen nahezu hilflos zu erleben voll in die Magengrube. Kritisieren kann man, dass die verschiedenen Erzählebenen weder klar abgegrenzt sind, noch schlüssig ineinandergreifen. Dies ist als Zuschauer zwar anstrengend und frustrierend, aber klar gewollt um genau dieses Gefühl der Desorientierung nachvollziehbar zu machen.

Am Ende bleibt ein mitreißender Film mit inszenatorischen Fehlern. Fehler aber, welche, ob bewusst oder unbewusst, die Wirkung des Films verstärken. Wer sich darauf einlassen kann, sollte dem Film bei Interesse an der Thematik eine Chance geben. Wie der Originaltitel The Roads Not Taken suggeriert, wird man sonst vielleicht genau das bereuen – den Weg nicht gegangen zu sein…

The Roads Not Taken (USA 2020)
Regie: Sally Potter
Besetzung: Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek, Laura Linney
Kinostart: 13. August 2020, Universal Pictures

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Malte Triesch

Malte wuchs im idyllischen Lilienthal, direkt an der Grenze zu Bremen, der schönsten Stadt im Norden Deutschlands, auf. Seine frühesten Film-Erinnerungen ist, auf dem Schulhof in der neusten TV Movie alles anzustreichen was gesehen und aufgenommen werden muss. Da die Auswahl an Horrorfilmen hier doch recht be- oder zumindest stark geschnitten war entdeckte er Videotheken für sich bzw. seine Mutter, da man diese ja erst ab 18 betreten durfte. Wenn er nicht gerade Filmreviews schreibt ist er wahrscheinlich im (Heim-)Kino oder vor dem Mikrophon für den OV Sneak Podcasts, SneakyMonday.

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