JARVIS COCKER – Chansons d’Ennui Tip-Top

Jarvis Cocker hat am letzten Freitag ein Album mit Covern von französischen Chansons der 1960er und 1970er-Jahre veröffentlicht. So unglaublich das klingt, so passend ist es irgendwie auch. Wer wenn nicht er? Der blasse nerdige Typ, der mit Pulp den intellektuellen Touch ins Cool Britannia der 1990er-Jahre brachte während Oasis und Blur pöbelten und Richard Ashcroft endlos durch die Straßen zu laufen schien. Angestachelt wurde er von Regisseur Wes Anderson, der ihn bat für seinen Film The French Dispatch den französischen Pop-Hit Aline neu aufzunehmen. Im Film wird der Song dem fiktiven Sänger Tip-Top zugerechnet. Herausgekommen ist ein ganzes Album, das nicht der Soundtrack des Films, aber das Geschwisterkind ist. Insgesamt covert Jarvis Cocker 12 Songs, die im Original von Gainsbourg, Brigitte Fontaine, Françoise Hardy oder Jacques Dutronc gesungen wurden. Eingespielt hat er die Stücke mit der Band, mit der er im letzten Jahr unter dem Projekt JARV IS sein Comeback zum Mainstream-Pop feierte. Wie klingt es also, wenn eine Ikone des Britpop sich am französischen Kulturgut vergreift?

Kurze Antwort: Es klingt so typisch nach Jarvis Cocker, dass es kaum zu glauben ist. Seine stets leicht überzeichnete Stilistik, das scheinbar unerschütterliche perfomerische Selbstbewusstsein, die über sich selbst lächelnde Arroganz – alles ist da. Schon im Opener Dans Ma Chambre kommen die großen Gesten. Und es fällt auf: Der Brite ist kein Naturtalent in französischer Aussprache, aber darum geht es eigentlich auch nicht. Der Orgelopener des Originals vom Darida wurde sogar noch ausgebaut, Cockers Stimme legt sich dramatisch vor das rhythmische Treiben der Band. Eine Dramatik, die auch in der Neuinterpretation von Mao Mao zu finden ist, das jedoch im starken Kontrast mit leicht schräger Flöte und marschigem Rhythmus fast schon punkig klingt. Auch Les Gens Sont Fous, Les Temps Sont Flous hat diese rotzige junge Energie, die dem Album gut steht. Cockers typisch verwegene Sexyness kommt in Amour, Je Te Cherche zum Vorschein. Vor Streichern sinniert er, nahezu flüsternd, ein Saxophon und Frauen-Vocals im Hintergrund über die Liebe. Emotional ist das nicht, aber verdammt unterhaltsam. Ähnlich bei Elle Et Moi, hier jedoch mit spacigen Hintergrundsounds vor eingängigen Percussions. Überhaupt sind die langen Instrumentals der Band und die musikalische Tiefe oft der heimliche Star der Platte. Offen launig kommt so Contact daher, der retro-elektronische Hintergrund des Originals von Brigitte Bardot wurde zwar klanglich etwas aufgemöbelt, ist aber sofort unverkennbar. Überhaupt ist die klangliche Seele der Stücke oft sehr stark erhalten. Aber egal wie dramatisch das Lied, man hat konstant das Gefühl, Cocker würde beim Singen lächeln, so sehr genießt er seinen Besuch in der Vergangenheit. Besonders gut nachzuhören im ruhigen und streicherlastigen Le Tendresse.

Chansons d’Ennui Tip-Top ist ein Album voller Überraschungen, eine Performance und dadurch auch wieder cineastisch ohne überdramatisch zu sein. Die großen Emotionen liefern die Stücke nicht, aber man lässt sich gerne von Jarvis Cocker mitnehmen auf eine Reise durch ein Stück französische Musikgeschichte. Nur zu ernst nehmen sollte man sie nicht. Das Album macht Spaß in seiner Ungewöhnlichkeit, in seiner überzeugten Ernsthaftigkeit, die einen lächeln lässt – genau wie Jarvis Cocker wahrscheinlich beim Aufnahmeprozess.

Jarvis Cocker – Chansons d’Ennui Tip-Top
VÖ: 22. Oktober 2021, Abkco
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