SPENCER – Filmkritik


Foto-© Claire Mathon, DCM

It’s meant to be a bit of fun!

(Major Alistar Gregory – Spencer)

Weihnachten 1991. Lady Di (Kristen Stewart; Speak & Into the Wild) verspätet sich auf dem Weg zu den dreitägigen traditionellen königlichen Feierlichkeiten im Sandringham House im nordosten Englands. Einerseits ist sie in der Gegend aufgewachsen und sie und Prince Charles sind schon ca. 10 Jahre verheiratet, andererseits fährt sie ausnahmsweise alleine im eigenen Auto dorthin; da verfährt man sich schon mal. Dieses soll nicht das letzte Zeichen sein, dass Diana sich von der Geschichte und den Traditionen dort erdrückt fühlt, es nicht mehr ertragen kann, bevormundet das Vorhersehbare zu leben.

Sie sind alle wie Roboter, die ihr Programm abspulen und alles Menschliche um sie herum rücksichtslos zerfleischen. Widerstand ist zwecklos. Der Film Spencer eröffnet mit den Vorbereitungen der Küche für die zahlreichen Mahlzeiten: Das Militär liefert das Essen in Behältern für Maschinengewehren, und eine weitere Brigade von KöchInnen, angeführt von Darren (Sean Harris; Mission Impossible Rogue Nation), marschiert auf und besetzt die Küche. Im Lichte von Dianas Bulimie sind das wahrlich schwere Geschütze, die da gegen sie aufgefahren werden. Die Landschaft und das Haus sind kalt und tot. Bis auf Major Alistar Gregory, gespielt vom großartigen Timothy Spall (All or Nothing, Harry Potter), sind alle Repräsentanten der – man kann es durchaus sagen – gegnerischen Seite besetzt durch weniger bekannte Schauspieler. Die Familie Windsor und die Bediensteten bringen ihr keinen Unzen Verständnis entgegen: sie ist voll ausgeliefert und alleine — bis auf Darren und ihre Anzieherin Maggie (Sally Hawkins; Shape of Water, Happy-Go-Lucky), mit denen sie eine persönliche, vertrauensvolle, wenn nicht gar freundschaftliche Beziehung hat, sowie Prinz William (Jack Nielen) und Prinz Harry (Freddie Spry). Mit niemand sonst kann sie überhaupt ein normales menschliches Gespräch führen, nur ab und an ist Zeit einen angenehmen Moment zu stehlen.

Ob diese „Fabel basierend auf einer wahren Tragödie” am Ende das Wunder liefert, was es offensichtlich für ein Happy End bräuchte, wird angesichts der Horror-Atmosphäre immer zweifelhafter. Vielleicht liegt es nur am ähnlichen Thema, aber man merkt, dass Spencer und Jackie (2016) von Pablo Larraín gedreht wurden. Auch die Filmmusik hört sich ähnlich dissonant und bedrohlich an. Jonny Greenwood von Radiohead (Lieblingskomponist von P.T. Anderson) liefert wie schon Mica Levi für Jackie eine musikalische Kulisse, die wie die Faust auf’s Ohr passt. Jetzt, da ich Claire Mathons Kinematographie sehen durfte, muss ich unbedingt Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019) nachholen. Da ich in letzter Zeit viele biographische Filme gesehen habe, obwohl das gar nicht mein Geschmack ist, kann ich nun sagen, dass mir Filme, die sich zeitlich oder thematisch eine eher kleine Scheibe aus einem Leben abschneiden, besser gefallen. Zusätzlich erlaubt das Format der Fabel dem Drehbuchautor Stephen Knight (Peaky Blinders, Eastern Promises), zusätzliche Ebenen aufzumachen und außerhalb der Linien der Realität zu malen.

Kristen Stewart spielt Diana wie selbstverständlich nahezu perfekt. Darren McGrady, Dianas persönlicher Chefkoch, berichtet in seiner Rezension, dass er in einer improvisierten Szene mit William und Harry glaubte, Diana sei wieder zum Leben erwacht, und dass er sich komisch vorkam, jedes Mal wenn Kristen Stewart Sean Harris, der ihm recht ähnlich sieht, „Darren” nennt. Ihr Bodyguard Ken Wharfe sagte in einem Interview mit People Magazine, Stewart sei die beste Prinzessin Diana auf der Leinwand der letzten 10 Jahre. Ich selbst habe nur relativ wenig auf Diana geachtet und mich mit ihr beschäftigt, dennoch war ich beeindruckt und musste feststellen, dass Kristen Stewart recht oft total verschwunden ist. Dass Larraín Stewart den Film A Woman under the Influence von Cassaventes zur Vorbereitung aufgetragen hat, ist erleuchtend. Sowohl Mabel als auch Diana gehen an den Erwartungen der Familie und der Gesellschaft um sie herum kaputt. Am meisten hat mich jedoch überrascht, dass Diana gar keine Bürgerliche war, wie ich immer glaubte, sondern sie als Mitglied des Geschlechts der Earls of Spencer auf geradezu extreme Weise privilegiert aufgewachsen ist.

Spencer bietet einen meisterhaften Rahmen für eine schauspielerische Leitung, die über reine Nachahmung hinausgeht, ohne dabei die eigene, allgemeinere Aussage aus den Augen zu verlieren.

Spencer (GB DE US CL 2021)
Regie: Pablo Larraín
Cast: Kristen Stewart, Sally Hawkins, Timothy Spall, Sean Harris, Jack Nielen, Freddie Spry, Jack Farthing, Stella Gonet, Amy Manson
Kinostart: 13. Januar 2022, DCM

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