LIFE – North East Coastal Town


Foto-© Luke Hallett

I slept in late today
And yes, I slept in yesterday
I think I’m spending far too much on fairly average take-aways
Do you fell you’ve got a problem? – I don’t feel anything at all

(LIFE – Big Moon Lake)

Die Metropole muss das Ziel sein, alles andere ist rubbish. So könnte es lauten, das inoffizielle Motto vieler gitarrenbestückter Bands, die aus Vor-, Klein, Geister- oder nicht mal mehr Städten Richtung Schmelztiegel ziehen. Vielleicht gibt man ihm noch einen mit, dem Shithole – aber ach, was soll’s. Sie würden eh nicht verstehen. LIFE gehen da einen anderen Weg. Das 2013 gegründete Quartett, das mit der Fülle sogenannter Post-Brexit-Bands in die BBC Radio-Rotation und zahlreiche Playlists gespült wurde, sind ihrem Kingston upon Hull, namensgebende Stadt ihres dritten Albums, ganz und gar nicht böse. Vielleicht, weil die Stadt selbst es schwer genug hatte: Als sie im Zweiten Weltkrieg heftig bombardiert wurde, sprachen die britischen Medien zuerst nur von einer „North East Coastal Town“, um die Nazis nicht zu verraten, was von der Hafenstadt noch übrig war.

Ihr haben LIFE ihr neues Album gewidmet, und trotzdem liegen stumpfer Lokalpatriotismus und Underdog-Gehabe der Band um Sänger Mez Green fern. Vielleicht, weil sie näher dran sind als andere: alle Mitglieder der Band arbeiteten in sozialen Berufen, schreiben Songs über das, was sie dort erlebten und waren auf viel DIY-Improvisation und ihre lokale Community angewiesen, statt den direkten Weg ins Studio zu finden.

Anstatt das alles hinter sich zu lassen, versuchen LIFE, die Eindrücke einer Stadt und ihrer Bewohner*innen auf einem Album zu kondensieren. Da ist es nur folgerichtig, dass die Songs – so weit es die klassische Kombination Gitarre/Bass/Drums hergibt – stärker variieren als je zuvor: Without Names startet mit schimmernden bis bräsigen Gitarren, Incomplete und Poison kommen als hook-orientierte Post-Punk-Bretter daher und Shipping Forecast grollt und beißt. Soweit bekannt, geht es ansonsten munter in alle Richtungen: The Drug hätte mit seiner Up-Beat-Energie und dem flötenden Synthesizer in den 00ern auch Franz Ferdinand gut zu Gesicht gestanden und Duck Egg Blue, die vorab veröffentlichte Single-Auskopplung, zeigt ganz neue Wege auf: Statt sich des im Post-Brexit-Pool wie in LIFEs restlichen Songs allgegenwärtigen Sprechgesang zu bedienen, singt Green sechs ruhige Minuten mit rauer, gesenkter Stimme über pulsierender Percussion ein ungewohnt persönliches Liebeslied.

Zwischen feinen, kleinen Zeilen über Verschlafen, Taubheit und schlechtes Essen oder surrealen Reimketten fällt ein selig schunkelndes All You Are mit seinen Tresensprüchen dagegen ebenso aus dem Rahmen wie die maue Feststellung „The drug I’ve needed / Has always been here“. Die viel wichtigere Frage dagegen lautet aber: Wo steckt denn nun eigentlich Hull? Nach und nach drängt sich beim Hören der Gedanke auf, ob – vom Yorkshire-Dialekt mal abgesehen – die Songs doch ganz gut in jede andere Vor-, Klein- und Geisterstadt passen würden, aus der die einen fliehen und die anderen bleiben, weil sie den Absprung nicht geschafft haben oder aber mehr darin erkennen als die schnöde Peripherie. Aber vielleicht ist genau das der Punkt: dass es nicht darauf ankommt, ob und an welcher Küste Menschen leben – sondern, dass sie auf irgendeine Art und Weise ein Zuhause daraus machen. Auch wenn’s ein boring shithole ist.

LIFE – North East Coastal Town
VÖ: 19. August 2022, The Liquid Label
www.lifeband.co.uk
www.facebook.com/lifebanduk

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