LOYLE CARNER – hugo


Foto-© Jack Davison

What kind of man admits his failures
Turns over his heavy stones
Stands at the feet of grief and wanting
And does not turn away
What kind of man becomes a father
A lasting place

(Loyle Carner – A Lasting Place)

„The people wanna dance, they don’t wanna hear the truth”, rappt Loyle Carner auf dem Track Speed of Plight seines neuen Albums hugo. Zwar ist diese sarkastische Line nicht der Opener, doch spiegelt sie den Prozess und die Themen wider, die sein via EMI erscheinendes Drittwerk bestimmen.

Denn Benjamin Coyle-Larners zehn neue Stücke sind viel mehr Introspektion und stecken noch mehr Finger in die eigenen Wunden als die ersten beiden gefeierten Alben. Der jazzige und gemütliche Sound wird nicht abgelöst aber doch erweitert, um härtere Beats und etwas weniger smoothe Wohlfühlgesten, die Carner spätestens und völlig zurecht mit Not Waving, But Drowning nicht nur auf der Insel zu Everybody’s Darling und zu einem Pionier eines neuen Hip-Hop Gestus machten.

Mit der Ruhe der Pandemie setzte sich der Brite nun aber eben noch viel aufmerksamer mit seinen eigenen Geschichten und ambivalenten Gefühlen auseinander: Vom Vater verlassen werden, als „mixed-race“ Kind in einer weißen Gesellschaft aufwachsen, selbst Vater werden und sich letztlich fragen, was man eigentlich mit Erfolg und Aufmerksamkeit anstellen will.

Mit der bereits erschienenen Single und dem Opener des Albums Hate kündigt er die Schlagrichtung an und macht sich erstmal ordentlich Luft. „I listen to this one in my car, at night. Especially after an argument when you need to get space and take a breath”, sagt Carner selbst über diesen Track. Und auch wenn die Perspektive des Hasses auf dem Rest des Albums nicht mehr so explizit wird, ein nachdenklicher, teils wütender und ängstlicher Ton setzt sich fort. Carner erweitert dadurch sein Schaffensspektrum, macht sich verletzlicher, indem er wütender, konkreter, emotionaler wird. Doch diese Risikobereitschaft wird belohnt. Denn einmal mehr schafft es Carners einmalige Symbiose aus intelligenten, persönlichen und politischen Texten und den jazzig-vibenden Beats alles im Umkreis der Lautsprecher in seinen Bann zu ziehen. Während auf den Vorgängeralben deutlich mehr Leichtigkeit den Ton angab, ist es jetzt Ernsthaftigkeit, die sich durch die angesprochenen Themen breit macht. Doch das kostet nicht den unwiderstehlichen Flow des 28-jährigen Südost-Londoners. Viel mehr befördert es seine Rapkunst in eine neue Ebene, die ihm nicht weniger gut steht, als die Sonntagmorgen Gefühle von Ottolenghi oder Angel.

Dabei kann es trotzdem weich klingen, wie auf Pollyfilla, A Lasting Place oder Homerton mit den bezaubernden Stimmen von Olivia Dean und JNR Williams und dem vielsagenden Zitat am Ende: „Sometimes the parents need their kids more than the kids need their parents“

Was Carner offenkundig auch auf diesem neusten Werk beschäftigt, ist die Maskulinität, die grade im Hip-Hop seit jeher problematische Formen annimmt. In unserem Interview gesteht er, dass auch er davon beeinflusst wird und in Tracks wie Blood On My Nikes oder A Lasting Place wird auch das hörbar. Aber glorifiziert wird es nicht, sondern viel mehr reflektiert und darin liegt auch auf seiner neusten Platte der Schlüssel: “What kind of man weeps at the feet of his wife in pain / Holds up the pink and shrieking thing and feels the throb of time/ What kind of man wraps a cloth around his waist and holds the baby to his chest”

Carner bleibt sich treu und schafft es vielleicht noch viel mehr auf hugo, Hip-Hop zu machen, der all das in Frage stellt, was viele Rapper in Form von Belanglosigkeit und überheblichem Männlichkeitsgehabe proklamieren. Diesmal klingt das rauer, ernster und trotzdem musikalisch genau so aufregend, wie man ihn kennengelernt hat. Der Zeit angemessen aber mindestens so zeitlos wie auf seinen Vorgängeralben.

Loyle Carner – hugo
VÖ: 21. Oktober 2022, EMI
www.loylecarner.com
www.facebook.com/LoyleCarner

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Christian Weining

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