LANKUM – False Lankum


Foto-© Sorcha Frances Ryder

Go dig my grave
Both wide and deep
Place a marble stone
At my head and feet
And on my breast
A snow white dove
To tell this world
That I died for love

Oh lordy Lord
Oh lordy me
Oh Lord, oh Lord
Oh lordy me

She went upstairs
For to make her bed
And not one word
To her mother said
Her mother she
Went upstairs, too
Saying, “Daughter, oh daughter
What troubles you?”
“Oh, mama dear
I cannot tell
That railroad boy
That I loved so well
He courted me
My life away
And now with me
He will not stay”

Oh lordy Lord
Oh lordy me
Oh Lord, oh Lord
Oh lordy me

(Lankum – Go Dig My Grave)

Man muss gar nicht erst die Lobeshymnen in britischen Musikgazetten wie Mojo (“Maybe modern Folk music’s own OK Computer”) oder Uncut (“The future of modern Folk music”) lesen, um zu ahnen: Diese Platte wird uns dieses Jahr verfolgen, irritieren, betören, zu Tränen rühren, nerven, immer wieder umhauen – und sich am Ende in ganz vielen Bestenlisten für 2023 wiederfinden. Denn False Lankum, das vierte Album und ganz sicher das Opus magnum der irischen Folk-Drone-Slowcore-Postrock-Band Lankum, ist ein Brett, eine Urgewalt, in mancher Hinsicht (vor allem wegen seiner Maßlosigkeit) auch eine Zumutung. Aus solchen Großwerken entstehen künftige Musiklegenden.

Lankum tun hier nicht weniger als ein Genre neu zu vermessen. Was dem Quartett aus Dublin (und seinen diversen Mitstreitern) auf False Lankum für die traditionelle irische Folkmusik gelingt, haben Radiohead (der oben angeführte Vergleich passt also) 1997 mit OK Computer und 2000 mit Kid A für den Indie- und Brit-Pop der 90er getan – indem sie diese stagnierenden Musikstile um einen modernen Progressive- und später Electro-Avantgarde-Sound erweiterten. Oder Wilco, die mit Yankee Hotel Foxtrot und A Ghost Is Born seit 2001 ihren ohnehin schon fabelhaften Country- und Folkrock mit Noise, Ambient und Krautrock in ganz neue Sphären führten.

Dass Lankum keinen normalen Folkpop machen, lässt sich schon an der außergewöhnlichen, gälisch-exotischen wie auch elektronischen Instrumentierung ihres neuen Meisterwerks (der Vorgänger The Livelong Day war übrigens ebenfalls toll) absehen: Harmonium, Concertina und Bayan (unter anderem) spielt etwa Leadsängerin Radie Peat; Fiddle, Hammered Dulcimer, Bowed Banjo und Pump Organ (unter anderem) steuert Cormac MacDiarmada bei; Uilleann Pipes, Hurdy Gurdy, Tape Loops und Noise (unter anderem) stammen von Ian Lynch. Alle drei MultiinstrumentalistInnen und Sänger/Gitarrist/Keyboarder Daragh Lynch liefern abwechslungsreiche Vocals für die meisten der zwölf teilweise episch langen Tracks, die in den passend benannten Hellfire- beziehungsweise Guerilla-Studios aufgenommen wurden.

Wie sich das alles anhört? Siehe oben – am Ende ist man erschlagen von so viel orchestraler Wucht und raffiniert erzeugter Gruselstimmung, von all diesen teils uralten Geschichten, etwa im berührenden Opener Go Dig My Grave, dem unfassbar intensiven Folk-Märchen The New York Trader oder den wundervollen Balladen Master Crowley’s, Lord Abore And Mary Flynn und On A Monday Morning. Drei instrumentale “Fugen” verschaffen nur kurz Beruhigung im Lankum-Mahlstrom, der den Hörer in andere, bizarre, wunderliche Welten hinabzieht (oder erhebt, je nachdem).

Wenn sich das randvolle Klangbild am Ende des hymnischen Closers The Turn in Kakophonie und Lärm entladen hat, fragt man sich, was da eigentlich 70 Minuten lang passiert ist. War das wirklich auf traditionsreichen Weisen beruhender irischer Folk, wie man ihn selbst in den schummrigsten Kneipen von Dublin oft nur noch in klischeehafter oder altbackener Form dargeboten bekommt? Wenn überhaupt (weil bei Lankum ja noch so viele andere Klangfarben und Stil-Elemente mitschwingen, namentlich etwa Low, Thin Lizzy, Sigur Rós, Modern Studies, Godspeed You! Black Emperor, The Waterboys oder The Pogues), dann ist False Lankum ein dringend benötigtes, atemberaubendes Zukunftsmodell dieser prachtvollen “Volksmusik” von der grünen Insel.

Der von Glücksgefühlen überwältigte Lankum-Fan freut sich nun erst recht auf die Konzerttermine einer auch live brillanten Band:
25.04.23 Berlin, Silent Green – ausverkauft
17.11.23 Schorndorf, Manufaktur
19.11.23 Leipzig, Transcentury Update Festival
22.11.23 Berlin, Lido
23.11.23 Köln, Stadtgarten

Lankum – False Lankum
VÖ: 24. März 2023, Rough Trade Records
www.lankumdublin.com
www.facebook.com/dublinfolkmiscreants

YouTube video

Werner Herpell

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