BLUR – The Ballad Of Darren


Foto-© Reuben Bastienne Lewis

Looked in the mirror
So many people standing there
I walked towards them
Into the floodlights

I heard no echo (no echo)
There was distortion everywhere (everywhere)
I found my ego (my ego)
I felt rubato standing there

Found my transcendence (transcendence)
It played in mono painted blue (painted blue)
You were the Pierrot (the Pierrot)
I was the dark room (the dark room)

I’ll be shining light in your eyes (in your eyes)
You’ll probably shine it back on me
But I won’t fall this time
With Godspeed I’ll heed the signs

(Blur – The Narcissist)

Irgendwann entdeckte Damon Albarn, dass er nicht nur Mitgründer der Britpop-Könige Blur, hyperaktiver Gorillaz-Boss und überhaupt einer der kreativsten Köpfe im aktuellen Pop ist – sondern irgendwie auch ein Wiedergänger des großen David Bowie. Weil’s so schön ist, hier im Original, was er kürzlich einem französischen Magazin auf die Frage nach dem Bowie-Touch der neuen Blur-Platte The Ballad Of Darren sagte: “That’s good, even if it really wasn’t a conscious choice. Let’s just say that’s how the songs come to me now, they have this shade… Bowie, I haven’t listened to him in years. I don’t need it anymore, I know it by heart. In a way, I’m David Bowie since he’s gone…” Wow, das zeugt von Mut.

Lachend fügte Albarn noch hinzu: “Careful, I don’t mean that in an arrogant, presumptuous way. But that’s how it is, I tell you very honestly: I sometimes think that a part of David Bowie lives on through me. In any case that I extend his work, that I add my own melodies, my sensitivity… And I also owe him a lot in terms of vocal presence, scansion, theatrical inspiration in the way of singing.”

An Selbstbewusstsein mangelt es dem Blur-Frontmann also nicht beim Comeback seiner seit über 30 Jahren aktiven Band. Und Albarn kann sich das leisten – sowohl den Stolz auf das neue Album (Nachfolger des ebenfalls schon tollen The Magic Whip von 2015) als auch den Vergleich mit dem größten Solo-Popstar und -Performer aller Zeiten. Denn The Ballad Of Darren ist ein fantastisches Werk geworden, ein Zeugnis der erstaunlichen Frische und Reife von vier verdienten Musikern, für die der Genre-Begriff Britpop schon lange viel zu eng ist.

Jaja, der Britpop. Dieser von Medien massiv angeheizte Zweikampf “Blur vs. Oasis” um die Krone im Pop-Königsreich Großbritannien – wie lang ist das jetzt her (gut ein Vierteljahrhundert), und was hat sich seitdem in der Entwicklung dieser beiden ikonischen englischen Bands nicht alles getan. Dabei war das Scharmützelchen doch schnell entschieden. Zugunsten von Damon Albarn, Graham Coxon, Alex James und Dave Rowntree natürlich, die ihren Horizont schon bald nach den meisterlichen Britpop-Alben Parklife (1994) und The Great Escape (1995) konsequent erweiterten – im Gegensatz zu den meist tief zerstrittenen Gallagher-Brüdern mit ihrer Beatles/Slade-Fixierung .

Heute sind Oasis toter als tot, und selbst eine respektable Leistung von Noel Gallagher`s High Flying Birds mit dem neuen Album Council Skies ruft insgesamt nur wohlwollendes Interesse hervor. Dagegen jetzt The Ballad Of Darren – eine Platte, die Blur kackfrech-selbstbewusst mitten in die VÖ-Sommerpause gesetzt haben, angeheizt von einem gewaltigen Hype durch mehrere triumphale Reunion-Konzerte, darunter zwei ausverkaufte Wembley-Heimspiele.

Zwei wichtige Informationen liefert der Titel des neunten Blur-Studioalbums seit ihrem Debüt Leisure von 1991. Erstens ist The Ballad Of Darren eine liebenswerte Verbeugung vor einer Art Popmusik-Wasserträger – vor Darren “Smoggy” Evans, dem früheren Blur-Bodyguard, der jetzt für Damon Albarn tätig ist. “Darren steht für viele Leute, ist aber auch eine konkrete Person”, erklärt der mittlerweile 55 Jahre alte Sänger. Und zweitens ist The Ballad Of Darren, man ahnt es, ein ganz wunderbares Balladen-Album.

Schon der programmatische Opener The Ballad ist ein majestätischer Schleicher, in dem Albarn mit einem seiner schönsten Crooner-Vocals glänzt. Ein so ruhiges, streichergesäumtes Lied als Start in ein Album, das als mehrfaches Ausrufezeichen (“Die Britpop-Champions sind zurück!!!”) verstanden werden darf – hat schon mal was. Dafür lässt die Band im folgenden Kracher St. Charles Square mit schräger Coxon-Gitarre, bollerndem James-Bass und treibenden Rowntree-Drums und Albarns wüstem Geheul die Sau raus. Barbaric ist ein sehr eingängiger, smarter Popsong, der in ein dramatisches Strings-Finale mündet.

So unterschiedlich die Blur-Alben der vergangenen drei Dekaden waren (bis hin zum Coxon-losen Think Tank von 2003 und zum ersten Überraschungs-Comeback The Magic Whip mit seinen Hongkong-Bezügen) – einige Referenzen wie The Beatles, The Kinks/Ray Davies, The Jam/Paul Weller oder XTC blieben im Laufe der Jahre doch gültig. Für The Ballad Of Daren muss man nun definitiv (da hat Albarn einfach recht) David Bowie ergänzen. Schon im erwähnten Opener, erst recht aber in der nächsten großen Ballade Russian Strings kommt man daran kaum vorbei.

Wie bei Bowie ist die chamäleonhafte Wandlungsfähigkeit auch ein Merkmal von Damon Albarn, ob mit Blur, den Gorillaz, dem All-Star-Projekt The Good, The Bad & The Queen, mit Africa Express oder solo. Und hat man nicht schon früher, etwa in Blur-Songs wie Strange News From Another Star (!) oder Thought I Was A Spaceman (!!), diese Verbindung deutlich gespürt? Auch in Goodbye Albert vom neuen Album singt Albarn nun so einfühlsam mit klarer Baritonstimme wie Bowie, und in der fabelhaften Single-Auskopplung The Narcissist spüren Blur dem auch von Krautrock und Gitarrenkrach beinflussten Heroes-Helden der mittleren 1970er (Berliner) Jahre nach.

Eine Verbeugung also – aber keine devote. Wer freilich auf The Ballad Of Darren (abgesehen von St. Charles Square) die punkpoppigen Ausbrüche früherer Blur-Alben vermisst, wer einen gewissen Mangel an Tempo-Variation moniert, hat zweifellos einen Punkt. Aber die insgesamt zehn (in der Limited Edition zwölf) kompakten neuen Lieder machen mit ihrer melodischen Qualität und dem perfekten Songwriting einfach zu viel her, um Blur wegen der meist ruhigen Gangart Vorwürfe zu machen.

Und wann hat man von dieser Band auch je schönere Lieder gehört als das bezaubernde Far Away Island oder das beatleske Avalon? Überhaupt wird The Ballad Of Darren zum Ende hin immer besser. So ist The Heights ein würdiger Closer mit quengelnder Coxon-Gitarre, einem wuchtigen Rowntree/James-Rhythmuseinsatz, Albarns waidwundem Gesang und noisigem Outro.

Welch ein Jahr für die Blur-“Jungs” also, das nun von einem herausragenden Album gekrönt wird. Drummer Dave Rowntree hatte ja bereits Anfang des Jahres das überzeugende Solowerk Radio Days herausgebracht, Gitarrist Graham Coxon zusammen mit seiner Lebensgefährtin Rose Elinor Dougall kurz darauf einen sogar noch besseren Longplayer im Duo The Waeve sowie die spannende Autobiografie Verse, Chorus, Monster. (Nur Bassist Alex James beschränkte sich auf kundige Edelkäse-Herstellung.)

Und dann natürlich Damon der Große. Allein für dieses Jahr stehen in seiner Bilanz: eines der karrierebesten, auf Chartsplatz 1 abonnierten Gorillaz-Alben (Cracker Island), die Co-Produktion und prominente Teilnahme am Afrobeat-Funk-Pop-Meisterstück London Ko seiner Kollegin/Freundin Fatoumata Diawara aus Mali, und jetzt das tolle Blur-Comeback im Studio und auf den riesigen Bühnen. Vergessen wir nun endgültig die lauschige “Britpop”-Nische – Albarn ist längst der wichtigste Player der britischen Popmusik insgesamt.

Blur – The Ballad Of Darren
VÖ: 21. Juli 2023, Parlophone
www.blur.co.uk
www.facebook.com/blur

YouTube video

Werner Herpell

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