NIPPON CONNECTION 2023 – Nachbericht

Nippon Connection, Japanisches Filmfestival, Frankfurt am Main. Jeder, der schon einmal auf dem größten Japanischen Filmfestival der Welt war, hat bei diesem Satz sofort den einprägsamen Jingle im Ohr und die Festivalfarbe Pink vor Augen. Nachdem die Veranstaltung uns während der Pandemie Japan direkt nach Hause brachte (hier nachzulesen) und letztes Jahr als hybrides Festival an den Start ging (hier unser Bericht), konnte man dieses Jahr endlich wieder live und mit Gästen aus Japan voll durchstarten. So tummelten sich vom 06. bis 11. Juni neben über 18.500 Besuchern (neuer Rekord!) auch rund 45 Filmschaffende aus Japan auf dem Festivalgelände rund um das Künstlerhaus Mousonturm.

Unter anderem war Miura Toko zu Gast, hierzulande vor allem durch Drive My Car bekannt (hier unsere Kritik), die mit dem neuen Rising Star Award des Festivals ausgezeichnet wurde. So bot das Festival neben der Chance die Dame im Rahmen mehrerer Events kennenzulernen und ein paar Fragen zu stellen, auch die Möglichkeit einige ihrer weiteren Werke zu sichten. Wobei sich dabei schnell herausstellte, dass sie den Preis absolut zu recht erhielt und Drive My Car keine Ausnahme, sondern eines von vielen Highlights ist. Dass es sich bei dem Preis um den Rising Star Award handelt, wirkt bei ihrer 22-jährigen Schauspielkarriere dann zwar zunächst etwas seltsam, da sie in dem auf der Nippon Connection gezeigten dritten Film von Tamada Shinya, Sobakasu (I am what I am), ihre erste Hauptrolle spielt, passt es dann wiederum doch. Muira Tokos Figur Sobata Kasumi, die als 30-jähriger Single noch bei ihren Eltern wohnt, wird dabei mit vielen Facetten und Tiefgang von ihr verkörpert. Es sollte dabei zunächst niemanden überraschen, dass ihre Mutter sie zur Heirat drängt – ganz nach japanisch-heteronormativen Gepflogenheiten. Im Kern haben wir es hier mit einem ruhigen, behutsamen queeren Drama zu tun, allerdings mit dem Twist, dass Kasumi für niemanden romantische oder sexuelle Gefühle entwickelt. Absolute Empfehlung.

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Eröffnet wurde das Festival jedoch nicht mit einem von Miuras Filmen, sondern mit Plan 75, der bereits 2022 in Cannes überzeugte. Ein nachdenklicher Film, in dem im Japan der nahen Zukunft allen Japanern nahegelegt wird, zum Wohle der überalternden Gesellschaft mit 75 Jahren in den Freitod zu gehen. Mit viel Gefühl wird aufgezeigt, welche gesellschaftlichen Folgen eine solche Entscheidung auf Jung und Alt haben könnte und es fällt nicht schwer, von diesem plakativen, offenen Vorgehen gegen „die Alten“ auf die bereits vorherrschende Altersdiskriminierung in allen Gesellschaften zu abstrahieren. Auch wenn durchaus einige hoffnungsvolle Szenen vorkommen, ist der Film eine klare Warnung an uns alle. Dies überrascht weniger, wenn man weiß, dass er als Reaktion auf einen Amoklauf in einem Altenheim entstanden ist. Nicht der lockere Festivaleinstieg, den sich viele erhofft hatten, aber ein beeindruckender Film, der zur Reflektion einlädt und auch dafür ist ein Festival, das ja die Kulturen verbinden und voranbringen möchte, da.

Nehmen wir nun unsere zwei favorisierten Veranstaltungen „Filmfrühstück“ und „Heimkino“ einmal vorweg. Beim Frühstück wurde zum reichhaltigen Continental Breakfast Nabbies Love gezeigt. Ein Film, der schon 2000 die erste Nippon Connection eröffnen durfte und einer der Lieblingsfilme von Festivalgründerin und Direktorin Marion Klomfass. Zu Recht, wie sich zeigte. Eine herzergreifende, kleine und ruhige Geschichte auf der kleinen japanischen Insel Aguni, auf der scheinbar das ganze Dorf ins Chaos stürzt, als mit der Fähre nicht nur die junge Nanako, die sich mit ihrer titelgebenden Großmutter vereint, sondern auch Nabbies früherer Liebhaber, der einst von der Insel verbannt wurde, ankommen. Möchte man die vielen sympathischen Figuren mit ihren alltäglichen Sorgen und Geschichten schon in den Arm nehmen, will man zunehmend mit ihnen tanzen, wenn der Film immer wieder plötzlich zum gar nicht so leisen und auch nicht immer kleinen Musical mutiert.

Mutation ist natürlich die perfekte Überleitung zum japanischen Trash-Überraschungs-Filmabend im Rahmen des Heimkinos. Dieses Jahr kommentierten Marcus Stiglegger und Kai Naumann, live Sternenkrieg im Weltall. Wobei der Titel eigentlich schon alles sagt, aber doch nichts verrät. Zu gleichen Teilen Star Wars / Flash Gordon Rip-Off und Sentai Film und dabei eine absolute Explosion japansicher Kreativität und Wahnsinn. Ein böses, intergalaktisches Imperium, eine Hippie-Kommune, die mit dem Fliegenden Holländer durch das Weltall reist und ein Plot, der an die Legende von den acht Samurai angelehnt ist. Nur, dass anstatt acht Samurai hier Alkoholiker, draufgängerische Kampfpiloten (Hiroyuki Sanada), Straßendiebe, Roboter und Sonny Chiba per intergalaktischer, goldener Walnüsse auserwählt werden, den Hippies zu helfen. Dass der Ton dabei, völlig untypisch für das Festival, auf Deutsch lief, fiel bei der Riesenparty und all den Anekdoten der zwei Kommentatoren kaum auf. Übrigens einer der wenigen Festivalfilme, die es in Deutschland zumindest auf Blu-Ray zu kaufen gab, wer eine gebrauchte Version findet, sollte unbedingt zuschlagen!

Ähnlich absurd und ebenfalls später dieses Jahr auf Blu-ray erhältlich waren die umwerfenden Baby Assassins Filme. Wenn man bedenkt, dass Teil 1 lange vor John Wick: Chapter 4 herauskam, verschließt sich einem vollkommen, warum Izawa Saori nur als Stuntdouble für Sawayama Rina und nicht direkt für die Rolle Shimazu Akira gecastet wurde. Dabei hat der Regisseur und Drehbuchautor Sakamoto Yugo die perfekte Bewerbung gedreht: einen frischen John Wick / Bill & Ted – Verschnitt voller verrückter Figuren und nachvollziehbarer Situationen zum Totlachen und Action zum Bestaunen. Vielleicht hätte Izawa Saori zusammen mit Takaishi Akari, Reeves-san und Yen-san die Show gestohlen…oder vielleicht hat Chad Stahelski einfach keinen Humor. Der zweite Teil, Baby Assassins 2 Babies, lief ebenfalls auf dem Festival. Die Stimmung im Saal in Anwesenheit des Regisseurs und des Produzenten war merklich gehobener als beim Ersten, was sich als berechtigt herausstellen sollte. Sicher auch, weil viele nun nach Teil 1 ahnten, was sie erwartet. Apropros warten, wir warten nun nicht nur auf den Release später in 2023, sondern noch gespannter auf den schon bestätigten Teil 3, denn von den beiden Slacker-Assassininnen Chisato (Izawa) und Mahiro (Takaishi) können wir nicht genug bekommen!

Basierend auf einem Theaterstück zaubert Regisseur Yamagishi Santa in seinem erst zweiten Spielfilm mit To the Supreme ein absolut fantastisches Kammerspiel auf die Leinwand. Vier Frauen, die, von Prostituierter bis Mauerblümchen unterschiedlicher kaum sein könnten, mit vier absolut furchtbaren Verlierern zusammen sind. Auf 119 Minuten wird mit viel Humor, mindestens aber einem Augenzwinkern geprüft, wieviel männliche Unfähigkeit ihr ertragen könnt. Das wäre alles schon sehr sehenswert und würde irgendwo zwischen „gut unterhalten“ und „muss ich aber nicht noch einmal sehen“ bei euch abgespeichert werden, wäre da nicht das Ende, welches die vier Handlungsstränge in einer absoluten Explosion der Kreativität zusammenzieht und noch einmal allen Charakteren, Männern wie Frauen, neue Facetten gibt.

Und dann war da wider so ein Timeloopfilm: Mondays: See you This Week. Man nehme eine Zeitschleife, dehne sie auf eine Woche, lege sie über Witze aus dem Büroalltag, garniere mit viel Liebe zu Mangas, gart alles für 82 Minuten im Donabe-Topf und heraus kommt dekiagarimasu: Takebayashi Ryos gekonnt ausbalancierte und herzerwärmende Komödie Mondays: See you This Week!, die sich perfekt mit Beyond the Infinite Two Minutes, welcher schon 2021 auf dem Festival lief, kombinieren ließe.

Und dann war da noch wider so ein Timeloopfilm: Mondays: See you This Week. Man nehme eine Zeitschleife, dehne sie auf eine Woche, lege sie über Witze aus dem Büroalltag, garniere mit viel Liebe zu Mangas, gart alles für 82 Minuten im Donabe-Topf und heraus kommt dekiagarimasu: Takebayashi Ryos gekonnt ausbalancierte und herzerwärmende Komödie Mondays: See you This Week!, die sich perfekt mit Beyond the Infinite Two Minutes, welcher schon 2021 auf dem Festival lief, kombinieren ließe.

Und dann war da noch wider so ein Timeloopfilm: Mondays: See you This Week. Man nehme eine Zeitschleife, dehne sie auf eine Woche, lege sie über Witze aus dem Büroalltag, garniere mit viel Liebe zu Mangas, gart alles für 82 Minuten im Donabe-Topf und heraus kommt dekiagarimasu: Takebayashi Ryos gekonnt ausbalancierte und herzerwärmende Komödie Mondays: See you This Week!, die sich perfekt mit Beyond the Infinite Two Minutes, welcher schon 2021 auf dem Festival lief, kombinieren ließe. Okay, okay, weiter im Text.

Neben alle dem abgefahrenen Kram ist eine weitere Konstante in der japanischen Kultur die Liebe und Hingabe für alltägliche und eher unscheinbare Prozesse, die in ihrer Perfektion zu Ritualen erhoben werden. Es gibt unter anderem den Weg des Tees und den Weg des Blumensteckens, so ist man nicht besonders überrascht, dass es in Japan anscheinend auch den Weg des Badens gibt. Und in Yudo steht ein öffentliches Badehaus, das von zwei entfremdeten Brüdern betrieben wird, fast buchstäblich im Mittelpunkt der Handlung. Regisseur Suzuki Masayuki nimmt die Exzessivität, die manche bei der Ausübung des ritualhaften Badens betreiben, auf die Schippe. Doch schaufelt er sie nicht gleich in den Kohleofen, sondern wirft sie mit vielen anderen kleinen Nebengeschichten ins Badewasser. Dabei erinnern einige seiner Szenenbilder an die Symmetrie eines Wes Anderson-Films, wirken jedoch durch die teils überraschend emotionalen und ehrlich gehalten Geschichten sehr natürlich und lebensnah, auch wenn kein wirklicher Spannungsbogen aufgebaut wird, da einige Handlungen doch sehr vorhersehbar sind. Die Spannung braucht man aber auch nicht, um ein wohltuendes Bad nehmen zu können. Und gerade dafür geht man gerne den Weg des Badens, um zu entspannen und sich treiben zu lassen. Der Film lässt sich auch sehr treiben und ist nicht perfekt, aber auch nach einem heißen Bad sieht man erst einmal etwas schrumpelig aus. Was jedoch immer bleibt, ist die wohltuende Wärme. Vor allem im Herzen!

Viel ruhiger aber auch mit viel Warmherzigkeit vermittelt uns Regisseur Nakagawa Shun in Sayonara, Girls den Herzschmerz von vier Oberstufenschülerinnen, die die letzten zwei Tage vor ihrem Highschool-Abschluss in dem ruhebedürftigen Schulgebäude verbringen, das, nachdem die Schüler dieses verlassen haben, abgerissen wird. In be- und andächtigen Szenen werden die Geschichten von vier unterschiedlichen Mädchen gezeigt, die kurz vor einem für sie wichtigen Ereignis stehen. Sie verabschieden sich nicht nur von ihrer Schulzeit und ihren Schulkameraden, sondern auch von einem Lebensabschnitt, der sie sehr geprägt hat. Zu Beginn mag der Film etwas verwirrend sein, da die Schülerinnen nicht eine nach der anderen explizit eingeführt werden, sondern der schulische Alltag und die Vorbereitungen für die Abschlusszeremonie im Vordergrund stehen. Doch mit jedem weiteren Schritt bis zum allerletzten Schultag werden uns die vier jungen Frauen und ihre doch so unterschiedlichen Abschiede portraitiert. Sayonara, Girls ist ein Film über Erinnerungen, Liebe und Schmerz. Über Schmerz, der zu Wunden führt, die nicht gleich verheilen und als ein „schöner“ und einzigartiger Teil der Figuren bleiben, da sie ihre Geschichte festlegen.

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Fukunaga Takeshis Mountain Woman knüpft visuell und emotional direkt an Tsukamoto Shinyas Killing an, der auf der Nippon Connection 2019 präsentiert wurde, obwohl durch Heranholen von westlicher Finanzierung, Produzent und Chefkameramann mit Mountain Woman ein für Japan untypischer Film geschaffen wurde. Fukunaga spricht auch viel direkter und ohne letztendlich befremdliche Samurais aktuelle bzw. immerwährende Themen an wie die Rolle der Frau, Gruppenzwang, Aberglaube, Ständekonflikte und Ressourcenknappheit. Im ländlichen Tohoku des 18. Jahrhunderts muss die junge Rin (Yamada Anna) am eigenen Leib erfahren, zu was ihre Mitmenschen angesichts Hungersnot fähig sind, und entdeckt dabei, dass es für sie erst außerhalb von „Zivilisation“ Humanität geben kann.

Zurück zu den Samurais ging es dann mit Okiku and the World, den man jedoch leicht mit oder gar als einen Scherz abtun könnte. Denn augenscheinlich geht es um zwei Männer, die in Edo im Jahr 1858 ihren Lebensunterhalt mit Scheiße verdienen. Über Exkremente selbst wird jedoch nur ganz am Rande ein wenig gescherzt, viel mehr wird ein spannendes und vor allem realistisches Bild der Klassengesellschaft gezeichnet, in dieser die untersten ihren Lebensunterhalt eben damit verdienen die Toiletten zu entleeren und deren Inhalt als Dünger an die Bauern zu verkaufen. Obgleich zentral, ist die Klassengesellschaft gar nicht das eigentliche Thema des Films, sondern die Bio-Ökonomie, also die Umstellung von fossilen auf biogene Rohstoffe bzw. in diesem Fall eine Erinnerung daran, dass wir früher an vielen Stellen schon nachhaltiger gewirtschaftet haben als heute. Zumindest war dies das zentrale Anliegen eines der Produzenten, der anwesend war und im Nachgang des Films auf der Nippon Connection 2023 die Diskussion geprägt hat. Wobei zu erwähnen ist, dass die zwei eingangs erwähnten Herren nicht einmal die zentralen Figuren des Films sind. Dies ist der titelgebenden Okiku, Tochter eines gefallenen Samurais, vorbehalten. Somit ist sie zwischen den verschiedenen Ständen und zunehmend zwischen ihrem alten Leben und der Zuneigung zu einem der beiden Bio-Ökonomen hin- und hergerissen. Dass der Film in schwarz-weiß daherkommt, unterstreicht dabei den künstlerischen Anspruch, erweckt ein wenig das Gefühl in einem Nebenplot eines großen Kurosawa Epos zu sein und entschärft entscheidend die vielen expliziten Szenen voller Exkremente.

Mit rund 100 Kurz- und Langfilmen aus Japan und jeder Menge Kulturveranstaltungen war in den nunmehr fünf Filmsälen, die nahezu konstant bespielt wurden, jede Entscheidung für etwas auch eine Entscheidung gegen etwas absolut Sehenswertes. Selbst wenn ihr also dabei wart, findet sich im Folgenden sicher noch der eine oder andere Tipp für euch. Da vieles jedoch nicht außerhalb des Festivals in Deutschland erscheinen wird, hier schon einmal der wichtigste Tipp: schaut auf jeden Fall beim nächsten Mal in Frankfurt am Main vorbei.

Und so endete eine der besten Nippon Connections und wie jedes Jahr können wir die nächste kaum abwarten. Vom 28.05. bis zum 02.06.2024 heißt es dann wieder: Nippon Connection, Japanisches Filmfestival, Frankfurt am Main! Wir hoffen ihr stimmt dann in den Sprechgesang mit ein.

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Malte Triesch

Malte wuchs im idyllischen Lilienthal, direkt an der Grenze zu Bremen, der schönsten Stadt im Norden Deutschlands, auf. Seine frühesten Film-Erinnerungen ist, auf dem Schulhof in der neusten TV Movie alles anzustreichen was gesehen und aufgenommen werden muss. Da die Auswahl an Horrorfilmen hier doch recht be- oder zumindest stark geschnitten war entdeckte er Videotheken für sich bzw. seine Mutter, da man diese ja erst ab 18 betreten durfte. Wenn er nicht gerade Filmreviews schreibt ist er wahrscheinlich im (Heim-)Kino oder vor dem Mikrophon für den OV Sneak Podcasts, SneakyMonday.

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