RÓISÍN MURPHY – Hit Parade


Foto-© Nik Pate

‘Cause this house is holding it, all that loneliness,
This place is going insane, it’s insane, and I can’t explain it,
There’s been ten thousand dreams in Stella Vista,
Ohh! Hm-hm, it’s psycho-reactive.

(Róisín Murphy – The House)

Begrüßen wir diesen Disco-Herbst also mit der Frau, die uns vor drei Jahren mit Róisín Machine über die Pandemie gerettet hat. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem wir alle drin bleiben mussten, ging sie dahin, wo nachts im Normalfall die Lichter flackern. „It’s locked me in, it’s locked up, I can’t get out of the house“, hyperventiliert sie nun, drei Jahre später. Die Hysterie äußert sich in verbaler Art. Unkontrolliert wirkt sonst gar nichts. Róisín ist nicht allein am Start. Immer hatte sie für ihre Arbeitsabschnitte einen Kollaborateur an der Seite, das ist dieses Mal nicht anders. Bei Moloko war es Mark Brydon, dann verbündete sie sich mit Matthew Herbert, Eddie Stevens und zuletzt Richard Barratt aka Crooked Man. Dieses Mal ist es unser Landsmann DJ Koze.

Wie bitte? Der Kerl, dessen Namen man so aussprechen soll wie Erbrechen in der deutschen Sprache? Es hat sich angekündigt. Die beiden haben ihre Zusammenarbeit zuerst auf Kozes Album Knock Knock getestet. Da geht mehr, dachten sie sich, und blieben über die Jahre und Wechsel des Lebens in Kontakt. Man merkt, dass Hit Parade kein Schnellschuss ist. Alles hat Tiefe, ist auf verschiedene Weise mit Rhythmus und Róisíns Persönlichkeit verbunden. Can’t Replicate fällt allein schon wegen des Electro-House-Grooves auf, es gemahnt an den berühmten French Kiss von Lil Louis. Fast schon unverschämt, wenn man so auf einen Klassiker der Clubmusik anspielt. Hier geht das. Róisín kann dich raffiniert anflüstern, aber auch ein bisschen autoritär wie Grace Jones sein. Und irgendwie mysteriös. In Eureka braucht man eine Weile, um zu verstehen, dass sie die Worte „I don’t need a love that is dead and gone“ wiederholt. Zu einer Musik, die dich keineswegs wie ein Banger anpflaumt. Es ist subtiler, zarter, entrückter. Eine Tendenz, die Koze verstärkt.

Man fällt nicht mit der Tür ins Haus. What Not To Do ist ein spaciger Einstieg und fast so eigen, wie man es von Moloko kennt. Róisín hat immer noch Lust auf das, was aus der Welt des Hip-Hop zu ihr dringt. In Fader demonstriert Koze Wertschätzung für den Sound eines J Dilla, während die Sängerin mit einem Sample von Sharon Jones harmoniert. Soul alter Schule ist auch in CooCool und The Universe präsent. In die Disco geht’s mit Free Will. Der wippende Basslauf könnte vom großen Bernard Edwards sein, der piepende Synthesizer macht Spaß, genau wie der Mix aus echten und Vocoder-Stimmen. Man denkt an Feels Like I’m In Love von Kelly Marie. Das war 1980 ein weltweiter Hit. Eine Anspielung, ohne Frage, aber keine komplette Übernahme. Nichts ist banal. Alles, was beiden in den Sinn kommt, fließt wie angegossen zusammen. Koze findet für alle Bestandteile die richtige Naht. Man kann durchaus discodelisch dazu sagen.

Vom Titel Hit Parade sollte man sich nicht irritieren lassen. Niemand haut fett auf die Pauke. Das hat Róisín mal mit Overpowered versucht, ihrem einzigen Album für die Industrie. Heute ist sie eine Frau, die immer ein bisschen aus dem Off kommt und schelmisch von der Seite den Nerv trifft. Alles von ihr ist hörenswert, dieses Album ist absolute Spitzenklasse. Die Krönung. Wohnt ihr bei und erfreut euch danach mit dem, was der Disco-Herbst mit Releases von Say She She, Quantic und Romy noch so bringt.

Róisín Murphy – Hit Parade
VÖ: 8. September 2023, Ninja Tune
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