KING CREOSOTE – I DES


Foto-© Calum Gordon

The drugs only made me cry when I was having such a good time
– and in that I lied
I suppose the company was alright, I prefer being locked inside
Widescreen, baby wipes

The past it does not exist, there were bits that I missed
Or tried to hide
From Bonnytown to the Clyde we wore smiles a mile wide
Our shotgun rifles primed.

But it’s sin that’s got its hold on us
Don’t bother us with this.

(King Creosote – I’s A Sin That’s Got Its Hold Upon Us)

Schon die allerersten Töne des neuen Albums I DES von King Creosote zeigen, wo es diesmal langgeht mit dem knorrigen Schotten: eine sphärische Ambient-Klangkulisse, dann elektronisch verzerrte Beats, dann eine warme Gitarre und butterweiche Streicher – dieser zeitgemäße Crossover-Folk-Sound ist unbeschreiblich schön. Erst recht, wenn Kenny Anderson, der Mann hinter dem langlebigen Eigenbrötler-Projekt, seine noble, melancholische Stimme erklingen lässt: “From Bonnytown to the Clyde / we wore smiles a mile wide”. Dem Hörer geht es genauso, er lächelt verzückt (und verdrückt vielleicht auch ein paar Tränchen der Rührung).

King Creosote, der vor knapp zehn Jahren bereits ein Album mit dem vielsagenden Titel From Scotland With Love herausbrachte, packt gerade diesen Review-Schreiber an seiner ganz schwachen Stelle: der fast schon verklärten Begeisterung für das Land ganz oben im Norden Großbritanniens mit seinen so eigensinnigen wie liebenswerten Bewohnern. Ob mystische Hebriden-Inseln oder die whiskyselige Isle of Skye, ob wild-romantische Highlands oder die wunderschöne Ostküste: Schottland birgt so viel Zauber. Und zum Glück gibt es immer mal wieder Musik, die diesen Zauber in angemessene Töne übersetzt. Im besten Fall ist sie so gut wie die von Kenny Anderson alias King Creosote.

Die wievielte Veröffentlichung des 56-jährigen Klangtüftlers aus der Ostküstenregion Fife bei Dundee und Aberdeen I DES genau ist, lässt sich nicht mehr zuverlässig ermitteln. Zu verästelt und verschroben ist des Schotten-Folk-Königs Output seit den 1990ern auf EPs, CDs, CD-R, Vinylalben und Cassetten verteilt. “Über 100 Platten”, habe Anderson wohl herausgebracht, meint sein Label Domino – davon etliche unter dem Projektnamen. Das neueste Werk ist nun keines der ganz absonderlichen, sondern eher eines der zugänglicheren Alben des Schotten – auch wenn es am Ende mit dem fabelhaften, den Hörer regelrecht umblasenden 13-Minuten-Folkrock-Track Please Come Back I Will Listen, I Will Behave, I Will Toe The Line und erst recht mit dem 36 (!) Minuten dauernden Closer Drone in #B ausufert.

Davor hat King Creosote acht “normale” Songs platziert, die – bis auf das leicht schräge Susie Mullen mit Techno-Beats und Micky-Maus-Stimmen-Intro – allesamt zu einer herrlichen akustischen Schottland-Reise einladen. Dass Anderson dabei jegliche Dudelsack- und Fiddle-Klischees vermeidet, sondern des öfteren seine Affinität zu elektronischen Sounds zeigt, versteht sich fast von selbst. Schließlich war er 2011 für sein Kollabo-Album Diamond Mine mit dem Studio-Magier Jon Hopkins für diverse Musikpreise nominiert und auch ansonsten ein Grenzüberschreiter.

Als “DIY-Pop-Reisender, Restaurator eines alten Seehauses, Quetschkommoden-Liebhaber, Fife-Einwohner fürs Leben, Diamantenschürfer, Herzensbrecher” (so die Domino-Beschreibung) ist King Creosote also Exzentriker genug, um seine schon lang erprobte Verbindung von Tradition und Moderne mit I DES zu einem neuen Höhepunkt zu führen. Vibraphon, Akkordeon, Piano, Drums, Bass und Gitarre stehen hier gleichberechtigt neben E-Bow, Synths, Loops, Samplern und Weinglas-Drones. Die sehnsüchtigen Lead-Vocals des “Teeröl-Königs” (nichts Anderes heißt King Creosote) und zarte weibliche Chorstimmen sorgen für eine – bei aller Experimentierlust – erhabene Atmosphäre.

Fazit: Das größtenteils zwischen 2016 und 2020 geschriebene I DES ist perfektes Kopfkino für Schottland-Verehrer und stilistisch aufgeschlossene Musikhörer. Faszinierender lassen sich die prachtvollen Landschaften Schottlands im Oberstübchen nicht zum Leben erwecken. Und wer nicht glaubt, dass eine Mixtur aus Celtic Folk, Ambient, Prog- und Krautrock funktionieren kann, sollte dieses Album ebenfalls hören. Was Lankum dieses Jahr mit False Lankum für die Erneuerung des Irish-Folk getan haben, leistet Kenny Anderson für die traditionelle schottische Musik.

King Creosote – I DES
VÖ: 03. November 2023, Domino
www.kingcreosote.com
www.facebook.com/kingcreosote

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Werner Herpell

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