MGMT – Loss Of Life


Foto-© Johnah Freeman

I put the groceries down on the front lawn
And think maybe the children just want recognition
I wrote the fairy tale on a midnight drive
Wanting to know if I’m more than alive

I torched the fields again and killed an honest man
Now I understand Mother Nature
Watch me running head-first into the thorns
It’s like the lights are off, but somebody’s home

Unwrap that tourniquet ’round the sun
Turn those subtle reds into neon
You’ll see the difference when it’s done
But I understand your hesitation

(MGMT – Mother Nature)

Ich gebe zu: Wenn mir ein PR-Beipackzettel allzu offensiv mit der Tür ins Haus fällt, werde ich misstrauisch (im schlimmsten Fall auch sauer). Und bei Loss Of Life, dem insgesamt fünften Album des US-Psychedelic-Pop-Duos MGMT, ist das eigentlich so. Zitat gefällig? “We all hear different things. So go ahead: like what you like and hate what you hate. The choices are all yours”, räumt ein gewisser Tom Scharpling zunächst großzügig ein. Um dann so richtig die Backen aufzublasen: “Except when it comes to MGMT. You have to love MGMT. If you don’t love MGMT you’re objectively and provably wrong. Do you want to be known as an idiot?” Hmmm…

Das Spannende, wenn man diese Platte nach der spaßig polternden PR-Lektüre dann hört: Scharpling – ein bekannter US-Comedian, Radiomoderator, Video-Regisseur und Produzent – liegt, wenn man ihm komödiantische Ironie und den Satz “Übertreibung macht anschaulich” mal zugesteht, bei Loss Of Life nicht daneben. Denn man muss zwar auch weiterhin nicht jedes MGMT-Album seit dem tatsächlich spektakulären Debüt Oracular Spectacular (2007) lieben, aber dieses neue rechtfertigt den Hype. Ein reiferes und runderes Werk haben Andrew VanWyngarden und Benjamin Goldwasser, die beiden 41 Jahre alten MGMT-Masterminds aus New York, noch nie vorgelegt.

Manchmal waren ihnen ja eine gewisse Oberflächlichkeit, sorglose Verspieltheit, zynischer Hedonismus unterstellt worden, wenn sie wieder mal eine Platte voller süßer Indietronica-Bonbons und bunt schillernder Sound-Seifenblasen raushauten. Nach dem Mainstream-Durchbruch mit Congratulations von 2010 (Platz 2 der US-Albumcharts) wurde ihr Prinzip, Psychedelia, Elektronik, Gitarrenrock und eingängige Pop-Melodien zu verquirlen, zeitweise etwas fadenscheinig. Dieser Schreiber konnte die Begeisterung vieler Kritiker über Little Dark Age – eines der Alben des Jahres 2018 unter anderem für Entertainment Weekly, Newsweek, New Musical Express, Billboard und The Guardian – jedenfalls nicht nachvollziehen.

VanWyngarden hat in einem Interview des UK-Magazins Uncut (Februar) dann auch bereitwillig zugegeben, dass eine größere Ernsthaftigkeit bei MGMT Einzug erhalten hat. “There’s not much irony and sarcasm this time”, sagt der Leadsänger, Songwriter und Gitarrist. “We feel like the world needs something a little less cynical right now.” Hehre Worte für eine dreiviertel Stunde Popmusik – aber untermauert durch erhabene, erhebende Songs, die das Leben in diesen unruhigen, düsteren Zeiten immerhin ein bisschen schöner machen.

Stilistisch ist das Album eher noch breiter aufgestellt als früher. “We’re into so many different styles of music”, gibt Keyboarder Goldwasser im Uncut-Gespräch zu. “I like it that way. Shapeshifters are a nice part of the community.” Als musikalische Gestaltwandler sind MGMT auf Loss Of Life (dessen Titelstück in zwei sehr unterschiedlichen Versionen die 10-Song-Tracklist rahmt) definitiv erneut unterwegs. Nach dem kurzen Opener Loss Of Life (Part 2) machen sich VanWyngarden/Goldwasser mit Mother Nature, einem ihrer tollsten Lieder überhaupt, ähnlich offensiv an den Hörer heran wie Scharpling im zitierten PR-Text. Four minutes of pure pop heaven.

Waren es früher aktuellere Bands und Projekte wie The Flaming Lips, Tame Impala oder Of Montreal, mit denen MGMT verglichen wurden, so geht es diesmal deutlich weiter zurück in die Pop-Historie. Dancing In Babylon, die spannungsvoll erwartete Kooperation mit Christine And The Queens, erinnert ein wenig an ein berühmtes Elton-John-Duett mit Kiki Dee in den mittleren 70ern (Don’t Go Breaking My Heart), ohne in peinliche Seifigkeit abzudriften. Die prachtvolle 80s-Bombastballade People In The Streets ist eines dieser Lieder, die für eine neue Erwachsenheit von MGMT stehen. Bubblegum Dog geht schon vom Titel her Richtung Seventies-Glamrock, Marc Bolan und David Bowie lassen grüßen.

Später wird mal dem Sixties-Easy-Listening-Genie Burt Bacharach Tribut gezollt (dessen patentierten Trompeten-Klang VanWyngarden/Goldwasser quasi eins zu eins in Nothing Changes einbauen), mal Brian Wilson und seinen Beach Boys der Pet Sounds– und Smile-Ära (in I Wish I Was Joking und dem Closer Loss Of Life). Andere Referenzen dieses munter aus der Musikgeschichte zitierenden Albums sind die Beatles, Simon & Garfunkel, The Zombies oder Love. Aber, um hier nicht missverstanden zu werden: MGMT kupfern nie schnöde ab – Loss Of Life ist ein Pop-Patchwork, das die Suche nach Einflüssen zur reinen Freude macht und dabei doch originell bleibt.

Fazit: Ihr stärkstes Album bisher – keine üble Leistung gute 20 Jahre nach dem Start als The Management. “Simply put, the guys did it again!”, tönt der PR-Lautsprecher Tom Scharpling. Da hat er ganz sicher Recht. Ich ergänze: The guys did it again – but even better!

MGMT – Loss Of Life
VÖ: 23. Februar 2024, Mom + Pop
www.whoismgmt.com
www.facebook.com/mgmt

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Werner Herpell

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