TY SEGALL – Three Bells


Foto-© Denée Segall

Walk in lines, they form a circle
The destination is where you have been
Your three bells, one’s outside

To realize, to be alive
The point where we begin and die
There is no separation
My three bells, inside

(Ty Segall – The Bell)

Da ist er wieder. Achtzehn Monate nach dem letzten Album Hello, Hi. Für Ty Garrett Segall eine üppige Zeitspanne. Normalerweise liefert er mindestens einmal pro Jahr. Dieses Mal lief es nicht im Hauruck-Verfahren, gab es keine überhitzte Deadline.

Entstanden ist Three Bells im Harmonizer-Studio in Topanga Canyon. Dort kann man in Ruhe Demos aufnehmen, einen Vertrauten (hier: Cooper Crain) hinzu rufen und alles noch mal neu und strukturiert einspielen. Weitere bekannte Helfer: Emmett Kelly (Gitarre), Mikal Cronin (Bass), Ben Boye (Tasten), Charles Moothart (Schlagzeug). Am Ende hatte man 15 Stücke beisammen, die eine satte Spielzeit von 65 Minuten ergeben. Alles klingt sehr überlegt und vielschichtig. Nicht mehr lo-fi, aber doch unverkrampft. Ty ist generell ja einer, der viel ausprobiert. Sein Genrespannweite reicht von Garagenrock über Psychedelia, Folk, Noise, Punk und mehr. Normalerweise konzentriert er sich bei einem Album auf einen Punkt. Dieses Mal dachte er sich: Werfe ich doch einfach mal alles zusammen! Ähnlich wie auf Freedom’s Goblin 2018, nur fokussierter.

Im Einsteiger The Bell geht er es gelassen und folkig an, die Harmonien erinnern die Beatles. Im weiteren Verlauf des Stücks wechselt er den Stil ähnlich häufig wie Yes im Roundabout, beschleunigt und verlangsamt er nach Belieben, bis alles in einem wilden Inferno endet. Danach spielen in Void Groove und kosmische Kolorierung eine Rolle. Funkadelic kommen als Einfluss ins Spiel, eine Lieblingsband im Hause Segall. Ty zitiert aber nicht, er steuert das Geschehen auf seine Weise. Three Bells ist eine Platte, die Freunden des Equipments gefallen wird. Wenn man hört, wie Ty die Gitarre zum Jaulen und Röhren bringt, merkt man, wie sehr er Produkte aus dem Hause Eventide schätzt. Er liebt den Harmonizer, mit ihm kann man die Art eines Tons und dessen Dauer verändern. Oder er wählt den Phaser, der erfüllt jeden Verzerrungswunsch. Die Gitarre ist ganz klar Hauptinstrument, auch in Hi Dee Dee, wo man nicht an den gleichnamigen Musiker der Ramones, sondern an Wire denkt, wegen hartnäckig nagender Akkorde. In My Best Friend vertieft Ty seine Beziehung zum Glam-Rock, vom Rhythmus her erinnert es sehr an T. Rex.

Nicht ganz unbeteiligt an allem war Gattin Denée. Sie singt in Move, ist Ko-Komponistin in fünf weiteren Titeln, liebt schrägen Punk. Die Beziehung mit ihr scheint auf allen Ebenen gut zu laufen, Ty hat ihr sogar einen Song gewidmet, der so heißt wie sie. Seiner Bezauberung verleiht er mit einem Hauch Jazz Ausdruck, was sehr charmant wirkt. In Watcher verfinstert es sich mehr, hört man den Heavy-Psych-Rock der frühen Black Sabbath heraus. My Room ist der eingängigste Song auf der Platte und zugleich ein Plädoyer für private Zurückgezogenheit.

Bliebe noch die Frage, was es mit dem Geläut auf sich hat. Eine vielversprechende Spur führt zu den drei Glocken von Jean Villard. Der Franzose hat das Stück Les Trois Cloches 1939 geschrieben, nach dem Krieg ist es durch Édith Piaf bekannt geworden. Andere Versionen gibt es von den Andrew Sisters, Mireille Mathieu und Tina Arena. Gemeint ist das Läuten zu den drei wichtigsten Ereignissen des Lebens, Geburt/Taufe, Hochzeit und Tod. Ty ist jetzt 36 Jahre alt. Im fortschreitenden Alter ist es nur natürlich, dass er Zugang zu tieferen Zusammenhängen des Daseins sucht. Verschiedene Titel auf diesem Album (Reflections, Repetition, What Can We Do) passen zu dieser Interpretation.

Sicher: Man kann die Dinge auch nur musikalisch auf sich wirken lassen und diesen mitreißenden, immer wieder mit überraschenden Wechseln ausgestatteten Sound genießen. Am Ende bleibt nur die Bewertung, dass Three Bells die erste Pflichtplatte des Jahres ist, was Indie-Rock angeht. Get it!

Ty Segall – Three Bells
VÖ 26. Januar 2024, Drag City
www.ty-segall.com
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