ROMARE – Home


Foto-© Dan Madhurst

Ein bisschen darf man ihn schon dafür beneiden, dass ausgerechnet ein Uni-Seminar dem jungen Archie Fairhurst alias Romare seinen musikalischen Erweckungsmoment bescherte: zuvor konventioneller Gitarrist und Schlagzeuger, brachte ihn die Beschäftigung mit dem afroamerikanischen Cut-Up-Künstler Romare Bearden zum Sampling – und zu seiner ersten EP, Meditations On Afrocentrism (2012). Es folgen der Umzug von Paris nach London, vom Underground-Label Black Acre zum Schwergewicht Ninja Tune und, nach Projections (2015) und Love Songs Pt.2 (2016), jetzt sein mittlerweile drittes Album: Home.

Auf das wechselhafte Leben, dass Fairhurst schon als Kind und dann als Musiker rund um die Welt und mit seiner eigenen Familie nun in die britische Countryside führte, sind in den letzten zwei Jahren nochmal über 150 Konzerte obendrauf gekommen. Folgerichtig kreist Home nicht mehr wie sein Vorgänger um Liebe und Romantik, sondern – ganz dem Zeitgeist entsprechend – um Zugehörigkeit und Identität. Auch musikalisch für Fairhurst beinahe eine offensichtliche Einladung, noch einmal einen Soundhybriden zu erschaffen.

Bei der Sinnsuche herausgekommen ist dabei ein Album, das weniger nach nomadischem Tourleben, sondern viel mehr nach langer Clubnacht klingt: Spannungsaufbau, Drop, Ekstase und Repeat – die Mehrzahl der Tracks beruft sich auf den klassischen Dancefloor-Aufbau: weniger Dekonstruktion à la Meditations On Afrocentrism (2012), mehr geradeaus treibende Bässe. Das heißt gleichzeitig auch: so smooth wie auf Dreams klang Romare wohl noch nie. Das ohnehin überschaubare Set-Up auf ein Minimum pumpender Synthesizer geschrumpft und mit einer ordentlichen Dosis Hall in die Länge gezogen, entfernt er sich für fünf Minuten weit vom eckigen Signature-Sound, den der Opener Gone zuvor nochmal aufleben lässt. Kann nicht einfach der Club, der vielbeschworene Tempel, ein Zuhause sein?

Ganz so einfach macht es sich Fairhurst jedoch nicht. Stattdessen folgt eine Gratwanderung zwischen Romare, dem poppig-nerdigen Digger und Romare auf der Suche nach dem nächsten Hit: Sunshine lässt zu Beginn eine einzelne Melodie über die drängelnden Preset-Drums hoppeln wie einen Nackten auf der Tanzfläche, der dann von allzu erwartbaren House-Akkorden eingefangen wird. Tanzbar, ja – aber mehr Remix seiner Vorgänger als großer Wurf. Das bouncende The River löst mit seinen Versatzstücken aus Soul- und Afrobeat das Problem schon eleganter, bevor sich das Album mit Deliverance eine melancholische Pause gönnt. Die Lust an erst befremdlichen, dann überraschend eingängigen Sounds hat Fairhurst, das zeigt hier die Country-Gitarre, jedenfalls nicht verloren. Gemessen an den Standards, die er bislang gesetzt hat, bleibt sein Clubsound ansonsten aber erstaunlich absehbar.

Passen Wühlgeschwindigkeit in der Plattenkiste und schnelles Tempo dann doch zusammen, gelingen endlich die heimlichen Hymnen des Albums. So wie High, dass sein Voice-Sample nicht als schmückende Dreingabe anbietet, sondern gleich ganz drumherum aufgebaut ist. Ohne den Druck der ersten Albumhälfte bleibt da auch Zeit für eine wunderbar versponnene Bridge, die an die exzentrischen Beats vom L.A.-Label Brainfeeder erinnert. Also nochmal alles auf Repeat, zweites Set, und siehe da: In You See verschmelzen jetzt die eigenwillige Instrumentierung und der trockene House-Beat zu einem meditativen Sonnenaufgangs-Groove, der bescheiden in selbst eingespielten E-Bass-Achteln mündet.

Vor dem dubbigen Outro für den ziellosen Heimweg legt das weitgehend instrumentelle Heaven jedoch noch einmal Fairhursts Dilemma offen: ohne die charakteristischen Samples, die auf den Vorgängern das Thema und die Struktur angaben, fehlt es den Tracks schlicht an Substanz. Ob die Rekonstruktion von Nina Simones Work Song (Projections, 2015) oder die bittersüße Pop-Collage Je T’Aime (Love Songs Pt.2, 2016), in dessen kitschige Arme man sich dankbar sinken ließ – so eine Verbindung von Inhalt und Form gelingt Fairhurst auf Home nicht mehr so recht. Die Musik will in den Club, er will nach Hause – ganz angekommen sind am Ende beide nicht.

Romare – Home
VÖ: 31. Juli 2020, Ninja Tune
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