MULAN – Filmkritik

„The chi is strong with you“

(Commander Tung)

China im 5. Jahrhundert, die Hunnenarmee ist im Reich der Mitte einmarschiert. Um dieser unausweichlichen Gefahr Einhalt zu gebieten erlässt der chinesische Kaiser (Jet Li) ein Dekret, nach dem aus jeder Familie ein männliches Familienmitglied in den Dienst der Armee eingezogen werden muss. Hua Mulan (Liu Yifei) ist zwar seit Kindertagen eine begnadete und talentierte Kämpferin, doch ihr geliebter Vater (Tzi Ma), ein ehemals hochdekorierter Krieger, hat sie neben der Kampfkunst darin gelehrt ihr Talent zu verstecken, da sie eine Frau ist. Um ihren kranken Vater zu schützen, verkleidet sich Mulan als Mann und tritt an seiner Stelle den Kriegsdienst an. Doch auf diese Tat steht die Todesstrafe.

Die Realverfilmung des gleichnamigen Disney-Films von 1998, der mittlerweile zum Klassiker avanciert ist, basiert, wie auch der Animationsfilm, auf einer alten chinesischen Legende um die junge Mulan, die mehrere Jahre als Mann verkleidet in der chinesischen Armee diente. Wobei die Geschichte für beide Verfilmungen um ein paar historische Fakten dezimiert um mehr Raum für die Charakterentwicklung der Hauptfigur zu geben. Während der Zeichentrickfilm den Fokus stark auf den persönlichen Weg und Entwicklung Mulans legt und zeigt wie sie mit den traditionellen Regeln ihrer Gemeinschaft in Konflikt gerät und sich emanzipiert, wird dies in der Realverfilmung nur in Ansätzen aufgegriffen um Mulan schließlich als eine Art Superheldin zu etablieren und dabei eher ihre Superheldenkräfte und Fähigkeiten in den Vordergrund zu rücken. 

Von Anfang an wird Mulan als „etwas Besonderes“, als eine Auserwählte einer urgewaltigen und nicht näher spezifizierten Macht dargestellt und daher bezieht sie auch ihre besondere Gabe, das „chi“, das ihr erst ermöglicht eine so starke und geschickte Kampfkünstlerin zu werden. So muss Mulan im Verlauf der Handlung nicht bloß verbergen, dass sie eine Frau ist, sondern, dass noch viel mehr in ihr steckt als der Anschein erweckt. Die zugrunde liegende Botschaft, die Mulan vor allem jungen Mädchen vermitteln möchte, ist, dass sich niemand dafür schämen sollte, wer er ist und seine Schwächen nicht verstecken muss, sondern diese lernen sollte zu akzeptieren um daraus zu erstarken beziehungsweise diese Schwächen als Stärken zu nutzen. Und so wird im Disney- „Original“ Mulan es auch nie als Schwäche dargelegt, dass Mulan ein Mädchen ist, sondern besonders hervorgehoben, dass sie sowohl durch ihre Entscheidungen, ob richtige oder falsche, als auch mit ihren Herausforderungen sowie anhand ihrer Erfahrungen wächst und somit zu sich selbst findet. Die animierte Mulan zeigt innere Stärke, indem sie clever handelt und Willenskraft beweist. Aber auch nicht von Anbeginn, denn der Weg dahin ist besonders für sie sehr beschwerlich und sie ist ständigen Selbstzweifeln ausgesetzt. Zweifel und vor allem Schuldgefühle hat auch die jetzige Mulan, die jedoch darauf fußen, dass sie die ihr von Kindheitstagen beigebrachten traditionellen Tugenden allein durch ihre Verkleidung verrät.

Prinzipiell wird viel Wert auf Tugenden gelegt, die jedoch nicht davon abhängig gemacht werden sollten, ob man nun eine Frau oder ein Mann ist. Dies wird auch versucht innerhalb der Handlung zu vermitteln, dennoch wird nie ersichtlich, ob Mulan ihren eigenen Weg beschreitet oder ob sie bloß von dem „chi“, was durch sie hindurch fließt, geleitet wird. Ob sie nun vom Schicksal geleitet wird oder ob sie ihres Schicksal eigener Schmied ist. Dies fügt sich sehr gut in das Gesamtkonzept dieser Variante der Erzählung, in der viel Wert auf den Zusammenhalt der Gemeinschaft gelegt wird und weniger auf die einzelnen Charaktere. So stehen auch die bildlichen Gesamtkompositionen und groß angelegten Schlachtsequenzen im Vordergrund, die trotz einem Budget von 200 Millionen USD nicht immer überzeugen können. Für eine Verfilmung, die versucht die Balance zwischen historischer Realität und Märchen zu halten, geht der Blick für das Wesentliche leider verloren. Denn manchmal benötigt man die Liebe zum Detail um das große Ganze zu vervollständigen und da hätte Disney sich selbst treu bleiben sollen, denn oft „kann ein einzelnes Reiskorn die Waage kippen; Sieg oder Niederlage kann von einem Mann abhängen“, so der Kaiser aus dem Klassiker von 1998.

Fans des Klassikers freuen sich über Originalzitate, die recht subtil in die neuen Dialoge eingebaut werden und schwelgen in Erinnerung, wenn bekannte und beliebte Melodien im Hintergrund erklingen. Doch leider teilt auch Mulan das Schicksal vieler der bis dato herausgekommenen „Realverfilmungen“ der alten Disneyfilme, eine großartige Geschichte, die von ihren liebevoll geschalteten Figuren und der im Kern zwar recht simplen doch äußerst wichtigen Botschaft lebt, wird gemäß dem Motto je größer desto besser zu unnötigen Maße in das Kostüm eines Blockbuster gezwängt. Einige gute Schauwerte und ein komplett asiatischer Cast mit großen Namen der chinesischen Schauspielriege sowie ein noch unverbrauchtes Setting mögen den ein oder anderen Fan von Superhelden-Originstories locken. Disney-Fans freuen sich über eine der besten Realverfilmung der alten Disney-Zeichentrickfilme, die dennoch nach erster Sichtung eher dazu verlockt sich das Original abermals anzuschauen.

Mulan (USA, 2020)
Regie: Niki Caro
Darsteller: Liu Yufei, Yoson An, Gong Li, Donnie Yen, Jason Scott Lee, Tzi Ma, Jet Li

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Helena Barth

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