Kenneth Bonert – Toronto

Kenneth Bonert - Toronto

Kenneth Bonert nimmt uns mit seinem neuen Roman mit nach Toronto, einem Ort der von kanadischer Höflichkeit und multikulturellen Einflüssen geprägt ist. In dieser Kulisse spielen die voneinander unabhängigen Geschichten von vier Kanadier: innen, die jedoch eines gemeinsam haben – sie sind sich selbst fremd geworden. Sie alle treffen auf Personen anderer ethnischer und kultureller Herkunft, Begegnungen die manchmal abrupt und manchmal schleichend und subtil verlaufen und doch den Blickwinkel der Protagonist:innen dramatisch verändern.

Eine der Geschichten mit dem Titel Berührungen erzählt von dem Ehemann und Familienvater Trevor. Dieser tröstet seine weinende Kollegin, die aus Taiwan stammt und am nächsten Tag aus seinem Leben verschwindet, mit einer flüchtigen Umarmung. Durch die kurze Berührung werden in Trevor Gefühle frei, die seit langem aus seinem Leben verschwunden waren und sein Bedürfnis nach weiterer solcher Berührungen steigt. Mit großer Scham sucht er regelmäßig asiatische Massagesalons

auf. Bis er sich eines Abends bei, der aus Belarus stammenden, Marta wiederfindet.  Diese muss sich mit erotischen Massagen finanzieren, da ihre medizinischen Abschlüsse in Kanada nicht anerkannt werden. Als Marta von zwei Schutzgelderpressern aufgesucht wird, ist Trevor gezwungen aus der Situation zu flüchten. Ihr Schicksal nimmt er hingegen mit nach Hause und wird sich dort über sein eigenes privilegiertes Leben bewusst. 

Auch die anderen Geschichten über eine vom Schicksal getroffene Mutter, eine junge Frau mit Zukunftsangst und einen Familiensohn mit abgestumpftem Sexleben eröffnen dem Leser eine besondere Art der Grausamkeit. Es entsteht ein harter Kontrast zur berühmten kanadischen Lebensweise, in der vermeintliche Höflichkeit und Sicherheit zum Alltag gehören und die von Kenneth Bonert unter viel Aufwendung seiner Energie als klares Bild gezeichnet wird. Leider mit der Folge, dass die fremden, multikulturellen Einflüsse eher zu kurz kommen und oftmals plakativ dargestellt werden, obwohl diese den entscheidenden Wendepunkt in der jeweiligen Geschichte darstellen. Die Selbstentfremdung, das Leitbild aller vier Geschichten, wird durch die klare, teilweise sogar harte Sprache Bonets deutlich zum Ausdruck gebracht. 

Der Roman ist kein Buch, welches man mal schnell nebenbei lesen sollte, sonst verpasst man wichtige Nuancen, welche die Geschichten und Handlungen der Protagonist:innen in ein anderes Licht rücken. Toronto – Was uns durch die Nacht trägt ist definitiv kein Feel-Good-Roman, denn Kenneth Bonert arbeitet in den einzelnen Sequenzen immer wieder mit starken Impulsen, um die zwischenmenschlichen Begegnungen zu schildern. Teilweise geschieht dies in einer brachialen Art und Weise, die nicht Allen gefallen wird. Doch eines ist sicher, die Thematik regt nachhaltig zur Selbstreflexion an. 

 

Kenneth Bonet – Toronto
VÖ: 29. September 2021, Diogenes Verlag
Hardcover Leinen, 256 Seiten
ISBN 978-3-257-07151-1

Vanessa Hänf

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