RUDE GIRL – Birgit Weyhe

Eigentlich hätte der Graphic Novel Rude Girl auf den Namen Oreo hören sollen, benannt nach dem ikonischen us-amerikanischen Doppelkeks der Aussen Schwarz und Innen Weiß ist. In diesem Fall handelt es sich bei dem vermeintlich unschuldigen Ausdruck jedoch um eine Verunglimpfung, denn Protagonistin Priscilla ist für ihre schwarzen Mitschüler:innen zu weiß und für die Weißen zu dunkel. Was folgt ist eine dreihundert Seiten starke Suche nach Identifikation in Sub- und Popkultur, über die omnipräsent die Warnung der kulturellen Ausgrenzung schwebt.

Die deutsche Autorin Birgit Weyhe lernt nach dem Vorwurf kultureller Aneignung auf einem Kongress us-amerikanischer Germanist:innen das namensgebende Rude Girl Priscilla Layne kennen und ist nach einem ersten Austausch fasziniert von ihrer Lebensgeschichte. Aus der Idee ihr einen Comicstrip in einer Tageszeitung zu widmen, wird schnell der Wunsch nach einem ganzen Buch. Da Birgit Weyhe nicht den verhängnisvollen Versuch unternehmen möchte in die Haut der Protagonistin schlüpfen zu wollen, wählt sie den Weg der bewussten Abgrenzung und eine ungewöhnliche Erzählstruktur. Nach jedem Kapitel widmet sich Priscilla nämlich in gezeichneter Form den fertiggestellten Seiten, gibt Feedback, wirkt als dialogischer Korrektiv und wird teil des sequenziellen Erzählungsprozesses. Dieser Kniff schafft einen zugänglichen Rahmen, der immer noch genug Raum für persönliche Erfahrungen bietet und davon gibt es in Rude Girl jede Menge. Egal ob es um die Anfänge der karibischen Familie im befremdlichen Amerika, die adoleszenten Probleme im High School Alltag oder die Suche nach erster, ehrlicher Zugehörigkeit in der SHARP Szene (Skinheads Against Racial Prejudice) geht.

Jeder Erzählstrang ist gespickt mit kulturellen Referenzen, seien es Priscillas familiären Einflüsse, die fast schon größenwahnsinnige Popkultur der 90er (Home Alone! Jurrasic Park! Nintendo!) oder die verheißungsvolle Freiheit der Subkulturen. Imm wieder sticht die Musik als Einfluss hervor, jedes Kapitel beschwört die weitere Entwicklung und den zeitlichen Kontext durch Plattencover herauf, die in Birgit Weyhes schönen Illustration und den im ganzen Buch vorherrschenden Ockertönen besonders intensiv wirken. Doch während man sich an den Zeichnungen nicht satt sehen kann, überkommt mich immer wieder schwermütige Melancholie: Ich beginne zu hinterfragen, wo meine Privilegien liegen, in was für einer Welt und mit welchen Möglichkeiten ich selber aufgewachsen bin. Ähnlich ging es wohl auch der Autorin, die einem prägnanten Abschlussplädoyer Relationen zieht, der mahnende Zeigefinger bleibt jedoch unten. Das ist auch gut so, denn die Geschichte von Rude Girl Priscilla ist eindrücklich genug, um für sich selbst zu stehen.

RUDE GIRL – Birgit Weyhe
VÖ: März 2022, Avant Verlag
312 Seiten, Softcover
ISBN 978-3-96445-068-5

Fred

Fred ist 32 Jahre, wohnt in der Pop-City Damstadt und mag Hunde, Pizza und Musik.

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