IN IHREM HAUS – Filmkritik

Findest du es nicht schockierend, dass ein 16jähriger Schüler so etwas schreibt?

(Jeanne Germain – In ihrem Haus)

Mit dem Thriller ‘Dans la Maison‘ gelingt Francois Ozon nach dem Erfolg ‘Das Schmuckstück‘ eine großartige Parabel über die Kunst des Geschichtenerzählens und über das Reich der eigenen Phantasie. Er inszeniert eine undurchsichtige Erzählung voller überraschender Wendungen – Spannung ist bei diesem Spiel mit Realität und Fiktion garantiert.

Wie sieht eine normale Familie aus, fragt sich der 16-jährige Gymnasiast Claude, dessen Elternhaus seit dem Verschwinden der Mutter zerbrochen ist. Um dieser Frage nachzugehen, bietet er seinem Mitschüler Rapha Arlot, den er selbst als “banal” empfindet, Nachhilfe in Mathematik an und ist ab sofort täglich in dessen vier Wänden. Seine Faszination für die neue Familie beschreibt Claude detailliert in Aufsätzen für den Unterricht bei Monsieur Germain. Der deprimierte Französisch-Lehrer Germain ermutigt Claude zum Weiterschreiben, da er in ihm sein eigenes fehlendes Talent zu erkennen / zu kompensieren glaubt. Und so dringt Claude immer weiter in die Familienidylle und ihre Schattenseiten ein und freundet sich mit Rapha, bald aber auch mit dessen Mutter an….

Obwohl Claudes Faszination für Mutterfiguren einen offenkundigen Anlass hätte, bleiben er und seine Motive undurchsichtig. Er fungiert als Erzähler und Hauptakteur in einem und schon bald zieht er die Fäden der Geschicke derer, die seinen Geschichten folgen. Germaine und seine Frau Jeanne lesen und diskutieren die Etappen voller Begierde. Schon bald streben sie danach, Teil der Geschichten zu werden und mit dem Gelesenen in Verbindung zu treten, die Wand zwischen Fiktion und dem echten Leben zu durchschreiten und die Familie Arlot kennen zu lernen.

Auch filmisch verbinden sich die Figuren in den Räumen und begegnen sich innerhalb des Hauses wie Geister der Familie Arlot. Lehrer und Schützling diskutieren hier auf einer surrealen Ebene das Geschehen. Die Zerstörungskraft die Claude allein mit seinen durchdringenden Augen, seiner Berechenbarkeit des Gegenübers erreichen kann, übertrifft das oftmals thematisierte Aggressionsventil des Auto-Anzündens sogar noch. Dank eines spannungsgeladenen Drehbuchs, mitreißender Musik und nicht zuletzt aufgrund der schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller ist ‘In Ihrem Haus’ in diesem Herbst einen Kinobesuch wert – nicht umsonst erhielt der Film den FIPRESCI-Preis des Toronto Filmfestivals und wurde mit dem Hauptpreis des Filmfestivals San Sebastián, der Goldenen Muschel, ausgezeichnet.

Dans la Maison (FRA 2012)
Regie: Francois Ocon
Darsteller: Fabrice Luchini, Ernst Umhauer, Kirstin Scott Thomas, Emmanuelle Seigner
Filmstart: 29. November 2012, Concorde Filmverleih

httpvh://youtu.be/hHIuYmNithI