WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN – Filmkritik

Jeden Tag wenn Mami aufsteht, wünscht sie, sie wäre in Frankreich zum Rotwein trinken.

(Eva – We Need To Talk About Kevin)

Eine Paraderolle für Tilda Swinton als scheinbar hilflose Mutter, die sich einer unabwehrbaren Katastrophe ausgesetzt sieht. Der Hass ihres Sohnes Kevin wird zu einer Gefahr, die bald über das heimische Gartentor hinauswächst. In einer beklemmenden und mit viel Mitgefühl für ihre Hauptfigur erzählten Inszenierung, schildert die schottische Regisseurin Lynne Ramsay mit ‘We Need To Talk About Kevin’ eine wahre Begebenheit. Begebenheiten wie sie in den vergangenen Jahren immer häufiger in den Nachrichten zu sehen waren.

Wir sollten wirklich mal über Kevin reden. Aber wann haben alle aufgehört, ihr zuzuhören, der blassen großen Frau, die nicht zufällig den Namen der biblischen Eva trägt? Und an wen wendet sich Eva in ihrer Verzweiflung, wenn selbst ihr eigener Mann von all dem nichts versteht? Ist sie nicht diejenige, die eine Therapie machen sollte? Bereits nach Kevins Geburt ist das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter zerrüttet. Er schreit grundlos, scheint entwicklungsgestört, beinah autistisch und zeigt bereits als Kleinkind perfide Charakterzüge. Kevin spielt seine Eltern gegeneinander aus und genießt das Alleingängertum. Als Eva Jahre später ein kleines Mädchen zur Welt bringt, das im Gegensatz zum soziopathischen Kevin ein Goldstück ist, gerät auch die jüngere Schwester ins Visier…und deren Haustier.

In diesem mitreißenden Drama wird eine Kleinfamilie portraitiert, die von äußeren Einflüssen isoliert scheint. Die Handlung konzentriert sich im wesentlichen auf die großzügigen und hellen Wohnräume einer anonymen Vorstadt. Durch intensives Cross-Cutting werden verschiedene Zeitebenen in unterschiedlichen Interieurs einander gegnüber gestellt, doch auch nach der Katasrtrophe, der unausweichlichen Klimax, findet die Beklemmung kein Ende. Niemand kann sicher sein vor diesem Schicksal – denn eines zeigt Lynne Ramsay in diesem Film ganz deutlich – die Entwicklung Kevins ist kein Unterschichtenproblem und auch seine Erziehung ist für sein Handeln nicht ursächlich. Die Quintessenz der Geschichte, dass das Böse zur Natur des Menschen gehört, erlöst die Mutter von ihrer Haftpflicht. Damit setzt der Film traurige Interpretationen für vergangene Amokläufe frei.

Ein packendes Drama, das eine andere Perspektive auf die Amokläufe der jüngeren Vergangenheit wirft und den Frage nach Motiven und dem Drang nach dem Begreifen den Boden unter den Füßen entzieht – vielleicht gibt es tatsächlich keinen Grund und auch keine Lösung für Kevins Taten.

We Need To Talk About Kevin (USA 2011)
Regie: Lynne Ramsay
Darsteller: Ezra Miller, John C Reilly, Tilda Swinton
DVD-VÖ: 8. November 2012, Euro Video

httpvh://youtu.be/hFOfE-b_pFI