CAROLINE POLACHEK – Desire, I Want To Turn Into You


Foto-© Nedda Asfari

I am my father’s daughter in the end
He says „Watch your ego, watch your head, girl
Your’re so smart, so talented
But now the water’s turning red
And it’s all your fault and it’s all your mess
And you’re all alone and can’t go to bed
Too high on your adrenaline
You gotta go somewhere where you can’t pretend
Go forget the rules, forget your friends
Just you and your reflection
‘Cause nothing’s gonna be the same again
No, nothing’s gonna be the same again”

(Caroline Polachek – Welcome To My Island)

Letztes Jahr brachte nicht nur Björk ihr zehntes Studioalbum raus, Kate Bush landete durch die vierte Staffel von Stranger Things auch nochmal mit Running Up That Hill an der Spitze der Charts, fast 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Songs. Die Zeichen stehen aktuell also gut für exzentrische Musikerinnen – noch ein Grund, warum Caroline Polachek mit ihrem neuen Longplayer Desire, I Want To Turn Into You richtig durchstarten dürfte. Die 37-jährige ist längst kein Neuling im Business mehr: In den späten 2000ern gründete sie die Indie-Pop-Band Chairlift und arbeitete solo bereits mit Beyoncé, Charlie XCX, Flume und John Cale zusammen.

Ihr neustes Werk dürfte aber vermutlich den endgültigen Durchbruch bedeuten, wurde die vorab veröffentlichte Single Bunny Is A Rider doch schon von Pitchfork zum Song des Jahres gewählt. Auch der Rest des Albums kann sich sehen und hören lassen: Experimenteller Art Pop mit Elementen von New Age, Trip Hop und Folk, bei dem der kreative Einfluss von Kate Bush, Björk, Fiona Apple und David Bowie spürbar wird.

Zurückhaltung ist nicht Polacheks Sache. Welcome To My Island eröffnet das Album gleich mit dramatischem Sirenengesang und wechselt zwischen kühl gesprochenen Strophen und einem sonnig-poppig-exaltiertem Refrain, was an die Intensität und ironische Überspitzung in der Musik von Marina and the Diamonds erinnert. Pretty In Possible ist nachdenklicher und introspektiver, und lässt mit seinem melancholischen String-Arrangement und dem intensiven Fokus auf Melodie und Stimmung an Moby und Imogen Heap denken. Die Single Bunny Is A Rider ist ein cooler, eingängiger und minimalistischer Pop-Hit. Sunset beeindruckt mit seinem mediterranen Flair und der spanischen Gitarre und erweist sich als einer der schönsten Songs der Platte, eindringlich, sehnsüchtig und andächtig.

Das Album pendelt hin und her zwischen dem Konventionellen und dem Exzentrischen: So erinnert Crude Drawing Of An Angel mit einer schauerlich-dissonanten maschinellen Electro-Klanglandschaft an den teilweise abstrakten und düsteren Output von Björk. I Believe ist dann wiederum eine zugängliche, orchestrale Hymne, bei der sich Dream Pop und Stadion-Rock vermischen. Die Zusammenarbeit mit Grimes und Dido auf Fly To You ist besonders elegisch und schwebt und taumelt zu einem atemberaubenden Beat in himmlischen Sphären vor sich hin. Blood and Butter sticht als eins der Highlights heraus. Der Track verbreitet eine hoffnungsvoll-entspannte, erwachsene Stimmung á la Ray Of Light von Madonna und kulminiert in einem Höhepunkt, einem Befreiungsschlag durch eine wunderschöne Dudelsack-Melodie, was nach dem ungewöhnlichen und evokativen Einfallsreichtum von Kate Bush klingt. Hopedrunk Everasking ist eine bedächtige, mit Chorälen begleitete Pop-Ballade im Stil von Charlie XCX. Das ätherische Butterfly Net zeigt den großen Einfluss von Enya, mit keltischen Folk-Balladen-Untertönen und einem leicht psychedelischen 70er-Einschlag.

Desire, I Want To Turn Into You dürfte gerade aufgrund seiner kunstvollen Außergewöhnlichkeit zum Hit werden; auf den ersten Blick klingen die Songs zwar manchmal nach konventionellem Pop, aber dieser Eindruck wird schnell vertrieben durch einen spitzen Sirenenschrei, einen ungewöhnlichen Beat, einen dissonanten Chor oder eine originelle Melodie auf einem raren Instrument. Die eklektischen Einflüsse aus verschiedensten Genres verbindet Polachek gekonnt mit ihrer kühlen, aber selbstbewussten und extravaganten Ausstrahlung. Das Album wird trotz Exzentrizitäten nie zu abgedroschen oder unzugänglich, sondern bleibt stets fesselnd, und man ist gespannt, was im Song als nächstes passiert – diese Fähigkeit, zu überraschen, ist selten geworden in der Formelhaftigkeit des Pop-Business.

Caroline Polachek – Desire, I Want To Turn Into You
VÖ: 14. Februar 2023, The Orchard
www.carolinepolachek.com
www.facebook.com/CarolinePolachekMusic

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Tamara Plempe

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